© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/23 / 01. Dezember 2023

Gescheiterter Hang zur Größe
Bayer-Konzern: Die Monsanto-Übernahme wird immer teurer / Droht bald die Zerschlagung?
Jörg Schierholz

Am 10. Mai 2016 schrieb Werner Baumann, vom Finanz- zum Vorstandschef aufgestiegen, einen Brief an den Managerkollegen Hugh Grant, der weitreichende Folgen hatte: „Bayer ist seit langem beeindruckt vom Geschäft, dem Führungsteam und der großen Innovationsfähigkeit von Monsanto wie auch von seinem Engagement für die Landwirte. Für mich war es eine gute Gelegenheit, Ihre Vorstellung von den Vorteilen eines global integrierten Agrargeschäfts kennenzulernen – die Kombination von Saatgut und Pflanzeneigenschaften, Pflanzenschutz, Biologika und Digital Farming als Erfolgsformel. Wir planen, St. Louis (Missouri) als Hauptsitz des weltweiten Bereichs Saatgut und Pflanzeneigenschaften – einschließlich der entsprechenden Forschung und Entwicklung – sowie als Zentrale für Nordamerika weiterzuführen.“

Die Übernahme von Monsanto – damaliger Umsatz 14,6 Milliarden Dollar – würde den Traditionskonzern aus Leverkusen zum weltgrößten Agrochemiehersteller machen. Dafür mußte Bayer allerdings 66 Milliarden Dollar bezahlen – und Folgekosten tragen. Denn Monsanto ist auch der Erfinder des Unkrautbekämpfungsmittels Glyphosat, das als „Roundup“ seit Jahren Gegenstand von Schadensersatzprozessen in den USA ist. Erst vorige Woche hat ein Geschworenengericht in Jefferson City (Missouri) die Bayer-Tochter Monsanto zur Zahlung von insgesamt 1,56 Milliarden Dollar Schadensersatz an drei Kläger verurteilt. Die hatten ihre Krebserkrankung auf die jahrelange Glyphosat-Verwendung zurückgeführt.

Daß die EU die Glyphosat-Erlaubnis um zehn weitere Jahre verlängert hat, spielt in God’s own Country keine Rolle. Bayer hat bislang zwar neun von 13 Glyphosat-Gerichtsverfahren gewonnen, doch die Klagewelle geht immer weiter. Denn Schadensersatzprozesse sind ein einträgliches Geschäft: „Wir sehen ein hohes Maß an Fernsehwerbung für Klagen wegen Roundup“, erklärte kürzlich Rustin Silverstein, Chef des Marktforschungsunternehmens X Ante. Allein im Oktober seien von US-Kanzleien 4.000 Fernsehspots geschaltet worden, um für neue Glyphosat-Klagen zu werben. Daher sieht der Kapitalmarkt den Bayer-Aktienkurs seit der Monsanto-Übernahme sehr skeptisch, da das Umsatzplus teuer erkauft wird und die Refinanzierung über Synergien sehr mühsam erscheint.

Nur Abtrennung der Sparte für freiverkäufliche Medikamente?

Gleichzeitig läuft es auch in der Pharma-Sparte nicht rund. Am 19. November mußte Bayer-Forschungschef Christian Rommel den Abbruch der klinischen Phase-III-Studie zu Asundexian vermelden. Der Gerinnungshemmer sollte Patienten mit Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko helfen und war mit einem Umsatzpotential von fünf Milliarden Euro wichtigster Hoffnungsträger in Bayers Pharma-Pipeline. In der Folge rutschte die Bayer-Aktie auf den tiefsten Stand seit 17 Jahren. Nach dem Patentenablauf des Gerinnungshemmer Xarelto und des Augenmittels Eylea steht die Pharma-Sparte bald ohne Wachstumstreiber da.

Am 1. Juni löste Bill Anderson den Monsanto-Käufer Baumann an der Konzernspitze ab. Und der Amerikaner, der zuvor beim Schweizer Pharmakonzern Roche tätig war, hat nun fast unlösbare Aufgaben vor sich. Bis März 2024 soll der Umbau des Konzerns feststehen. Die Abtrennung der Sparte für freiverkäufliche Medikamente oder des Agrarbereiches könnten dann auf der Tagesordnung stehen. Etliche „aktivistische“ Investoren fordern schon länger eine Aufspaltung des deutschen Traditionskonzerns, da sie die Einzelteile für wertvoller als Bayer als Ganzes halten und die rechtlichen Glyphosat-Probleme in den USA gerne neutralisieren würden.

Im dritten Quartal sank der Bayer-Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um acht Prozent auf 10,3 Milliarden Euro und der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) brach um fast ein Drittel auf 1,7 Milliarden Euro ein, womit ein Verlust von 4,57 Milliarden Euro wegen erneuter Wertminderungen im Agrargeschäft (Division Crop Science) erzielt wurde. „Fast 50 Milliarden Euro Jahresumsatz, aber null Cashflow – das ist einfach nicht akzeptabel“, konstatierte Anderson klar. Es soll nun alles auf die Mission „Health for all, hunger for none“, Innovationen und wirtschaftliche Performance fokussiert werden. Daher wird Bayer bis Ende 2025 mehrere Führungsebenen streichen und Koordinationsprozesse vereinfachen. Dem werden viele Jobs im mittleren Management zum Opfer fallen. Wen dies trifft, ist derzeit offen.

Aufgrund des niedrigen Börsenwertes von nur noch 33 Milliarden Euro bei einer Nettoverschuldung von 38,7 Milliarden Euro wird der Leverkusener Konzern von den Ratingagenturen bereits kritisch beäugt. Die beiden Hauptsparten Pharma und Agrar sind allerdings in ihrer derzeitigen Verfassung kaum für eine erfolgreiche Abspaltung geeignet. Der Umsatz mit rezeptpflichtigen Medikamenten stagniert, wenngleich das neue Prostatakrebsmedikament Nubeqa, Kerendia zur Behandlung von chronischer Nierenerkrankung sowie das Radiologie-Geschäft weiter deutlich wuchsen. Mit jeder Niederlage vor Gericht wächst der öffentliche Druck auf den Konzern. Wird Bayer das Schicksal der Frankfurter Hoechst AG ereilen, die 1999 aus dem Dax verschwand und 2004 endgültig in dem französischen Sanofi-Konzern aufging?