Bemerkenswert knapp stimmte das Europaparlament (EP) den brisanten Ideen der fünf Berichterstatter – Sven Simon (CDU), Gabriele Bischoff (SPD), Daniel Freund (Grüne) und Helmut Scholz (Linke) sowie des flämischen Linksliberalen Guy Verhofstadt – zu: mehr EU-Kompetenzen im Klimaschutz, der Energiepolitik, der Bildung, der Volksgesundheit, in der Abtreibungsfrage, im Katastrophenschutz, in der Sozialpolitik und der Verteidigung. Gegen den Willen der zwei Rechtsfraktionen (EKR, ID) und Teilen der Christdemokraten (EVP) will die linke EP-Hälfte das nationale Veto-Recht beschränken und teure Milliardenprogramme durch einen neuen EU-Vertrag erreichen – das Gegenteil von Subsidiarität und weiser Selbstbeschränkung.
Vorbereitet wurde dies durch subventionierte Konferenzen zur Zukunft Europas, die als Echokammern der Politischen Korrektheit weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfanden. Die Zahl der EU-Kommissare soll als umbenannte „Europäische Exekutive“ auf 15 begrenzt werden, was kein Verlust wäre. Der Kommissionspräsident soll direkt vom EP gewählt und vom Rat der 27 Regierungschefs nur noch bestätigt werden. Also keine Gipfel-Mauscheleinen mehr – kein Wunder, daß Ursula von der Leyen keine Begeisterung zeigt. Anlaß ist der versprochene EU-Beitritt der Ukraine, Moldawiens und der vier Westbalkanländer. Nun soll die spanische Ratspräsidentschaft die EP-Vorschläge den 27 Regierungschefs vorlegen und nach den Europawahlen im Juni 2024 einen „Konvent“ einberufen lassen. Zuletzt fand dies 2002 unter Valéry Giscard d’Estaing statt. Damals ging es um einen „Verfassungsvertrag“, der bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden durchfiel, aber 2009 als „Lissabonner Vertrag“ doch durchgesetzt wurde.
Diesmal dürfte die Begeisterung selbst auf Regierungsseite noch geringer sein. Eine erste Ablehnung kam schon vom designierten polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Die meisten EVPler um Manfred Weber (CSU) sehen das Projekt auch zur Unzeit. Nach der aus Brüssel anrollenden wirtschaftsfeindlichen Verbots- und CO₂-Steuerorgie dürfte ein neuer Unionsvertrag mit noch mehr EU-Kompetenzen das letzte sein, dem der Stimmbürger, sofern er überhaupt gefragt wird, in irgendeinem Mitgliedsstaat zustimmen dürfte.