Zwarte Piet und Sinterklaas sind mit ihrem Schiff schon aus Spanien angekommen und reisen durch das Land. Denn nächste Woche ist „Päckchentag“, das höchste Fest für niederländische Kinder. Mittlerweile gehört es im Kindergarten zum guten Ton, darüber abzustimmen, ob der Piet nicht seinen Stiefel rausstellen kann, damit auch er einmal beschenkt wird. Die Kinder sind uneins: Manche Kinder gönnen dem Piet ein kleines Geschenk, andere bleiben lieber bei der Tradition des Beschenktwerdens.
Eindeutiger ist die Stimmung nach dem Wahlausgang in den Niederlanden: Geert Wilders (Partei für die Freiheit; PVV) ist der Wahlsieger und eine übergroße Mehrheit im Land möchte, daß er nun in Regierungsverantwortung kommt. Doch dafür benötigt er stabile Koalitionspartner, die im Moment nicht in Sicht sind. Als Ein-Mann-Partei fehlt ihm zudem neben politischer Führungserfahrung auch eine eigene Basis.
Zwei strategische Fehler kommen Geert Wilders schon jetzt teuer zu stehen. Zwar hat er bei der Parlamentswahl in der vergangenen Woche mit seiner Partei, der islam- und eurokritischen PVV, für ein politisches Erdbeben gesorgt und wurde entgegen aller Prognosen mit 37 Sitzen mit überwältigendem Abstand Sieger des Abends.
Ob bis Weihnachten eine Regierung steht, ist fraglich
Noch am Wahlabend erklärte Dilan Yesilgöz, die neue Parteivorsitzende der konservativ-liberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), die jede Zusammenarbeit mit Wilders zuvor ausgeschlossen hatte, der Wähler habe gesprochen und mit dem Ergebnis müsse jetzt umgegangen werden. Wilders war einen Moment zu zögerlich. Statt sofort die ausgestreckte Hand anzunehmen, wartete er ab – eine Nacht zu lang. Denn schon am darauffolgenden Tag ruderte Yesilgöz zurück, es könne allenfalls eine Unterstützung eines Minderheitenkabinetts, keinesfalls aber eine Beteiligung an einem solchen geben. Beifall erhält sie dabei vom ehemaligen Ministerpräsident Mark Rutte, der seine Pläne, Nato-Generalsekretär zu werden, nach Wilders’ Wahlsieg bedroht sieht.
Für den zweiten Fehltritt ist Wilders nicht verantwortlich, schädlich ist er dennoch. Als Kabinettsformateur hatte er Gommarus van Strien, einen PVV-Senator aus der Ersten Kammer, benannt. Doch gegen diesen läuft seit einigen Wochen ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe. Wilders habe davon keine Kenntnis gehabt, beteuert van Strien. „Das ist nicht gut gelaufen, das hätte besser klappen müssen“, kommentierte Wilders kleinlaut.
Nun soll es Ronald Plasterk richten. Der ehemalige linke Bildungsminister der Partei der Arbeit (PvDA) hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen als kritischer Kolumnist gemacht. Als Hochschullehrer gelang es ihm, die 19.000 Gene eines ein Millimeter langen Wurmes namens Caenorhabditis elegans zu entschlüsseln, nun erhält er eine ähnlich komplexe Aufgabe: aus den fünfzehn in das Parlament gewählten Parteien eine stabile Mehrheit zu formen. Nur vier Parteien haben überhaupt mehr als zehn Prozent der Stimmen erhalten, viele nur drei Sitze oder weniger.
Erstaunlich wechselhaft ist das Parteiensystem in den Niederlanden. Die Grünen sind mit den Sozialdemokraten zur GL-PvdA fusioniert, neuer Parteichef wurde der ehemalige EU-Kommissar Frans Timmermans, der sich entsetzt über den Wahlsieg der PVV äußerte: Die „demokratischen“ Niederlande hätten verloren. Das stabile Ergebnis von 15,6 Prozent der Stimmen – und damit dem zweitstärksten bei den Wahlen – erklärt sich allerdings nur aus dem Zusammengehen der beiden linken Parteien.
Neu am Start war der Neue Sozialvertrag (NSC) des Chefaufklärers Pieter Omtzigt. Omtzigt saß – nachdem er die „Kinderzuschlagsaffäre“ aufgedeckt und daraufhin die Christdemokraten verlassen hatte – als Ein-Mann-Fraktion im Parlament. Mit dem NSC versucht er die Neuauflage der „Polderpolitik“ der Niederlande, bei der in vergangenen Zeiten Volk und Regierung im einvernehmlichen Vertrauen aufeinander friedlich koexistierten.
Der NSC hatte sich nur wenig Vorlauf gegönnt: Erst vor vier Wochen wurden Programm und Kandidaten bekannt gegeben. Der überwältigende und auch erwartete Erfolg der NSC blieb tatsächlich aus, Omtzigt spielte vor allem bei Jungwählern keine Rolle und darf sich über 20 Mandate freuen.
Enttäuschend war auch das Abschneiden der Bauernbürgerbewegung (BBB). Noch im März hatte deren Chefin Caroline van der Plas bei den Wahlen zur Ersten Kammer für einen Überraschungserfolg gesorgt. Die BBB ist seither in fast allen Provinzen an der Macht beteiligt. Obwohl der Ausverkauf der heimischen Landwirtschaft gerade erst begonnen hat, konnte die BBB nicht wirklich punkten.
Eine deutliche Wählerwanderung hin zur PVV gab es beim „Forum für Demokratie“, das zwei seiner fünf Sitze eingebüßt hat. Auch dessen Abspaltung „Richtige Antwort 21“ (JA21) hat zwei der drei Sitze verloren.
Wilders’ „Monstersieg“ erklärt sich aus einer Mischung aus Standfestigkeit und Nachgiebigkeit. Im Wahlkampf schlug er vor allem im Bezug auf seine Position zur Einwanderung moderatere Töne an. Die im Parteiprogramm geforderten Koran-, Moschee- und Kopftuchverbote wurden ebenso wenig thematisiert wie die Schließung islamischer Schulen. Dies machte ihn auch für breite Schichten wählbarer. Gleichzeitig blieb Wilders’ PVV die Partei des kleinen Mannes – in den wirtschaftlich abgehängten Regionen des Landes wie in der Provinz Limburg konnte er bis zu 40 Prozent der Stimmen erringen.
„Die Niederlande sind nicht mehr die Niederlande“, Wilders Ausspruch bringt die Verwerfungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte auf den Punkt: Masseneinwanderung, Bevölkerungsexplosion, Wohnungsmangel, Altersarmut und Banden der Organisierten Drogenkriminalität (Mocro Maffia) haben das Land verändert. Das Wahlergebnis ist ein deutliches Signal, daß die Niederländer keine Lust mehr auf Experimente haben, auch nicht mehr auf neue Parteien. In dieser Woche muß sich Dilan Yesilgöz (VVD) vor der Parteibasis für ihre Ablehnung eines Bündnisses mit Wilders rechtfertigen. Da eine Mehrheit der Mitglieder eine Zusammenarbeit mit der PVV will, könnte dies zur Zerreißprobe für die Partei werden.
Ob – wie geplant bis Weihnachten – die neue Regierung steht, ist mehr als fraglich. Sicher ist nur, daß am „Päckchentag“ der „Zwarte Piet“ kommt und der würde sich über ein Wilders-I-Kabinett bestimmt freuen, ist sein Erhalt doch im Parteiprogramm der PVV festgeschrieben.