Die ersten Meldungen vermittelten den Eindruck, als sei die Bundesrepublik durch das beherzte Eingreifen der Sicherheitsbehörden nur knapp vor einem Umsturz bewahrt worden. Am 7. Dezember des vergangenen Jahres war die Polizei mit 3.000 Beamten bundesweit mit einem Großeinsatz gegen eine mutmaßlich terroristische Vereinigung aus dem Reichsbürger-Milieu vorgegangen. Bei dem Einsatz wurden 25 mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Gruppe festgenommen und deutschlandweit mehr als 130 Objekte durchsucht.
Die prominenteste Beschuldigte war die ehemalige Richterin und AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Als Kopf der mutmaßlichen Verschwörer gilt der Immobilenunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) lobte, die Sicherheitsbehörden hätten „hervorragend zusammengewirkt“, der Rechtsstaat verstehe es, sich mit aller Härte gegen die Feinde der Demokratie zu wehren.
Auch ein Jahr nach der Razzia wiegen die Vorwürfe gegen die Verdächtigen schwer: Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hatte die Gruppe das Ziel, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“. Dieses Vorhaben habe durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden sollen. „Hierzu zählt auch die Begehung von Tötungsdelikten“, ist sich die Bundesanwaltschaft sicher.
Für die Bekämpfung der Institutionen und Repräsentanten des Staates sowie die Absicherung der Macht sei ein deutschlandweites Netz von „Heimatschutzkompanien“ vorgesehen gewesen. „Diese gewaltsame Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen soll durch Angehörige eines ‘militärischen Arms’ durchgeführt werden.“ Unter anderem soll auch geplant gewesen sein, bewaffnet in den Bundestag einzudringen und Geiseln zu nehmen. Unter den Verdächtigen waren den Angaben zufolge drei Soldaten. Einige frühe Berichte enthielten viel Alarmismus, der sich im nachhinein als übertrieben herausstellte. So entpuppte sich ein angeblicher „Elite-Kämpfer“ der Bundeswehr als jemand, der zwar im Kommando Spezialkräfte (KSK) diente, jedoch kein ausgebildeter Kommandosoldat, sondern dort mit Verwaltungsaufgaben betraut war.
So beunruhigend sich die Pläne anhören, so schnell kamen in der Öffentlichkeit doch Zweifel auf, ob die „Prinzen-Truppe“ tatsächlich in der Lage gewesen wäre, einen Umsturzversuch zu unternehmen. Die Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, sprach mit Blick auf das Alter einiger Beschuldigter – Prinz Heinrich XIII. ist mittlerweile 71 Jahre alt – von einem „angestrebten Rollator-Putsch“.
Einheiten existierten lediglich auf dem Papier
Manches Mitglied der verhinderten Fronde weist starke Verbindungen ins eher esoterische als politisch-extremistische Milieu auf. So gehört zu den nach wie vor in Haft Sitzenden eine Medizinerin aus dem niedersächsischen Landkreis Peine. Vor Jahren war sie noch Protagonistin einer Hausärzte-Reportage der Lokalzeitung, nun wurde sie als „Gesundheitsministerin“ im Schattenkabinett der Möchtegern-Putschisten gehandelt. Bereits in ihrer Praxis habe sie alternative Heilmethoden praktiziert, einem Bericht der Zeit zufolge habe sie „ein obskures Orakel für ihre Mitstreiter“ erstellt und deren Seelen „mithilfe hartgekochter Eier“ untersuchen wollen.
Indes scheinen die belastenden Indizien aus Sicht der Behörden so schwerwiegend zu sein, daß der Bundesgerichtshof mehrfach Haftbeschwerden der 27 in Untersuchungshaft sitzenden Verdächtigen, denen Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vorgeworfen wird, verworfen hat. Ermittelt wird mittlerweile gegen insgesamt 69 Beschuldigte.
Unterdessen rückt offenbar ein Jahr nach der Verhaftung der mutmaßlichen Verschwörer eine Anklageerhebung näher. Angesichts der schieren Größe des Ermittlungskomplexes, der die Kapazitäten eines einzelnen Gerichts überlasten könnte, erwägt die Justiz nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Spiegel, vor drei verschiedenen Oberlandesgerichten (OLG) Anklage zu erheben. Demnach könnte der Prozeß gegen Prinz Reuß und andere führende Köpfe der Gruppe vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main stattfinden. Weitere mutmaßliche Mitglieder der Verschwörergruppe würden sich demnach vor den Oberlandesgerichten Stuttgart und München verantworten müssen.
Möglicherweise wird der Generalbundesanwalt die Anklagen noch vor dem Jahrestag der Razzia am 7. Dezember zustellen. Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) soll als erstes in Stuttgart-Stammheim gegen den mutmaßlichen bewaffneten Arm verhandelt werden. Die entsprechenden Anklageschriften dürften einen detaillierten Einblick in die konkreten militärischen Pläne der Verschwörer geben.
Laut RND-Informationen ging die Gruppe um Heinrich XIII. Reuß davon aus, daß jeder tausendste Deutsche den Putsch und die militärischen Verbände der Verschwörer unterstützen würde. Das hätte diesen Phantasien zufolge den geplanten Heimatschutzkompanien ein Potential von bis zu 84.000 Kämpfern gegeben. Zehntausende Bewaffnete also, die nach dem Zusammenbruch des alten Systems, nach dem Ende von Polizei und Bundeswehr, die neue Ordnung schützen sollten.
Allerdings existierten diese Einheiten zumeist nur auf dem Papier, teils in detaillierten Organigrammen von Dienstgraden und Befehlsketten, hinter denen aber noch keine realen Menschen standen. Es gab Stempel, DIN-A4-Schreibblöcke und teils sogar Autokennzeichen, berichtete das RND weiter. Nach Überzeugung des Generalbundesanwalts habe zumindest eine Handvoll dieser Putschtruppen bereits einen realen Grundstock von überzeugten und bewaffneten Mitstreitern gehabt.
Laut Experten bestand dadurch durchaus eine reale Gefahr. „Natürlich ist es sehr unwahrscheinlich, daß die Gruppe auf diese Weise einen erfolgreichen Putsch hätte durchführen können“, lautet die Einschätzung des Politikwissenschaftlers und „Reichsbürger“-Experten Jan Rathje. „Aber die Auswirkungen, die eine solche terroristische Tat gehabt hätte, wären durchaus verheerend gewesen.“
Dennoch ist völlig offen, wie viele der bislang beschuldigten Verschwörer am Ende verurteilt werden. Eines ist jedoch sicher: Die offenbar bald bevorstehenden Prozesse dürften Monate dauern und auf ein breites öffentliches Interesse stoßen.