Der 177seitige Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien enthält viele Wunschträume. So findet sich auf Seite 46 das Versprechen: „Wir werden die gesamte Landwirtschaft in ihrer Vielfalt an den Zielen Umwelt- und Ressourcenschutz ausrichten.“ Und einige Zeilen darunter die eindeutige Zusage: „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.“ Die von der Ampel geforderte „starke Europäische Union“ hat das nun aber verhindert.
Die EU-Zulassung des Unkrautvernichters wäre zwar tatsächlich am 15. Dezember ausgelaufen, doch die EU-Kommission hatte andere Pläne: Das seit fast fünf Jahrzehnten eingesetzte Herbizid darf nun weitere zehn Jahre in der EU-Landwirtschaft eingesetzt werden. Auch die EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit (Efsa) widersprach schon im Juli unter Verweis auf 2.400 Einzelstudien den Ampel-Plänen. Glyphosat erfülle nicht die Kriterien, um „als krebserregend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend eingestuft zu werden“. Die Vertreter der konventionellen Landwirtschaft waren ohnehin gegen ein Gyphosat-Verbot.
Auch unter den Mitgliedsstaaten gab es keine qualifizierte Mehrheit von 15 der 27 EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, für ein Verbot. Nur Österreich, Luxemburg und Kroatien lehnten die Verlängerung der Gyphosat-Zulassung bis 2033 ab. Sieben EU-Länder, darunter Frankreich, Italien und die Niederlande, enthielten sich. Ebenso wie Deutschland, denn die Ampelkoalition war uneins: Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wollte die Zulassung auslaufen lassen, während die FDP den Vorschlag der EU-Kommission für die weitere Wiederzulassung befürwortete. Daher konnte die EU-Kommission am 16. November ihre Glyphosat-Entscheidung verkünden.
Umweltschützer reagierten erwartungsgemäß entsetzt: „Es ist ein absolut bitterer Tag für die Natur“, sagte Richard Mergner, Chef des Bundes Naturschutz in Bayern, im Radiosender BR24. „Es ist ein Totalversagen der Bundesregierung und auch ein Bruch des Koalitionsvertrages.“ Der Naturschutzbund (Nabu) war ebenso entsetzt: „Heute ist kein guter Tag für die Artenvielfalt“, erklärte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger, „Glyphosat ist ein Totalherbizid, das alle Wildpflanzen auf und um den Acker herum tötet und somit insbesondere Insekten und Vögeln die Nahrungsgrundlage entzieht. Diese Entscheidung ist angesichts der Naturkrise fatal.“
Wird der Einsatz von Pestiziden künftig EU-weit beschränkt?
Der Abmahnverein Deutsche Umwelthilfe (DUH) kündigte zusammen mit dem Verbraucherverein Foodwatch sogar eine Klage gegen das „Ultragift“ und das in Deutschland zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit an. Und das nicht nur gegen das glyphosathaltige Produkt „Roundup PowerFlex“ von Bayer, sondern auch gegen die Herbizide „Gardo Gold“ sowie „Dual Gold“ des Herstellers Syngenta, die unter anderem den Wirkstoff S-Metolachlor enthalten, sowie gegen die Herbizide „Tactic“ von Adama und „Elipris“ von Corteva mit den Wirkstoffen Diflufenican und Flufenacet.
Auch das Insektizid Sulfurylfluorid, das vor allem in der Schädlingsbekämpfung von Exportholz in Schiffscontainern eingesetzt wird, soll verboten werden: „Trotz eindeutiger Hinweise auf unannehmbare Umwelt- und Gesundheitsgefahren sollen die Giftstoffe Flufenacet und Sulfurylfluorid auf dem Markt bleiben – das akzeptieren wir nicht. Wenn unsere Anträge auf Überprüfung und Aufhebung der Genehmigungen von der EU-Kommission abgelehnt werden, werden wir weitere rechtliche Schritte prüfen“, drohte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Die konventionellen Bauernverbände in Deutschland und der EU sowie Bayer freuten sich hingegen über die EU-Entscheidung zu Glyphosat, feierten ihren „Sieg“ aber nicht laut. Denn einige Details stehen in der deutschen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung noch aus: „Minister Özdemir ist jetzt aufgefordert, die rechtlichen Vorbereitungen zu treffen, damit Glyphosat auch ab 2024 eingesetzt werden kann“, verlangte Albert Stegemann (CDU), agrarpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. „Es gibt kaum einen Wirkstoff, der intensiver und umfassender wissenschaftlich in Europa untersucht wurde“, so der niedersächsische Landwirt. Die Angst der Grünen „vor den eigenen urbanen Wählern war wohl größer als eine verantwortungsvolle und wissensbasierte Politik“.
Für den agrarpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, werde Glyphosat „von einigen NGOs und Politikern mißbraucht, um gegen die moderne Landwirtschaft zu Felde zu ziehen“. Zudem würde das Anwendungsverbot den Einsatz alternativer Herbizide erhöhen. Zusätzlich gibt es ohnehin weiter Einschränkungen: Landwirte müssen mindestens fünf Meter breite Pufferstreifen einhalten, und den einzelnen EU-Staaten ist ausdrücklich erlaubt, selbst festzulegen, in welchen Mengen und wie häufig Glyphosat eingesetzt wird. Özdemir könnte also mit nationalen Regelungen die Glyphosat-Anwendung zumindest erschweren.
Und dann gibt es noch eine ganz andere „Hintertür“: Die EU-Kommission und das Europaparlament (EP) wollen den Einsatz von jeglichen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft prinzipiell verringern, um die Artenvielfalt zu schützen. Eine entsprechende Verordnung (Sustainable Use Regulation/SUR) hat Ende Oktober den EP-Umweltausschuß passiert. Danach soll bis 2030 der Pestizideinsatz innerhalb der EU halbiert werden, und zwar gemessen an der Verkaufsmenge. Vergangenes Jahr haben die Agrarchemiehersteller laut BUND 32.138 Tonnen Pestizide in Deutschland verkauft – zehn Prozent mehr als 2021. Glyphosat ist mit jährlich etwa 4.000 Tonnen der Spitzenreiter.
EU-Pestizidpläne bedrohen den deutschen Weinbau
Die EU-Kommission will im Rahmen ihres „Green Deals“ und der Pestizidverordnung (SUR) die Verwendung chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 pauschal halbieren. In „sensiblen Gebieten“, wo bedrohte Tier- und Pflanzenarten leben, sowie in Landschaftsschutzgebieten soll deren Einsatz generell verboten werden. Das stößt nicht nur bei Bauern, sondern auch bei vielen Winzern auf Widerstand. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Bernd Schattner aus der Südpfalz rechnet damit, daß dann „mindestens ein Drittel der deutschen Rebflächen nicht mehr bewirtschaftet werden könnten, weil sich die Winzer das wirtschaftliche Risiko eines kompletten Ernteausfalls schlicht nicht leisten können“. Für die Bekämpfung von Rebenkrankheiten wie den Befall mit Echtem oder Falschem Mehltau brauche es Pestizide. Der Fränkische Weinbauverband unterstützt zwar eine Einsparung von Pflanzenschutzmitteln. Jedoch müsse man bedenken, daß dies nicht von heute auf morgen geschehen könne. „Im Weinbau muß man da eher 40 Jahre nach vorn schauen“, so Verbandsgeschäftsführer Hermann Schmitt. (fis)