© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Die Kritik an der totalen Unterwerfung
Erfahrbarer Mythos statt gehorchendem Gesetz: Das Plädoyer des französischen Philosophen Alain de Benoist, Heide zu sein
Hermann Rößler

Als Kain den Abel erschlägt, tut er es aus Wut, Neid oder Mißgunst seinem Bruder gegenüber, dessen Opfer der Gott Jahwe annahm, während er das des Kain verschmähte. Der seßhafte Ackerbauer gegen den viehzüchtenden Nomaden. Jahwe ist ein eifersüchtiger Gott. War die Seßhaftigkeit Kains bereits Hochmut gegen den alles einfordernden Gott der Hebräer?

Wenn es nach dem französischen Autor und Vordenker der Nouvelle Droite Alain de Benoist geht, liegt ein Grundübel der Menschheitsgeschichte im Monotheismus: der eifersüchtige, exklusive und exkludierende Jahwe, der keinen Gott und keine Wahrheit neben sich gelten läßt. „Du sollst keine Götter neben mir haben“, diktiert er dem Mose. Der Gott des „Judenchristentums“, wie Benoist es nennt, offenbart sich in der Forderung, sich seinem Gesetz total zu unterwerfen.

Dem organischen, sinnlichen, weltbezogenen und toleranten Polytheimus der europäischen Völker tritt mit dem „Judenchristentum“ eine vereinheitlichende, entweltlichte, dualistische und intolerante Religion entgegen, die sich im Laufe der Geschichte durchsetzt, so Benoist. Der erfahrbare Mythos weicht dem zu gehorchenden Gesetz.

Mit seinem neu aufgelegten und überarbeiteten Buch „Heide sein – die europäische Glaubensalternative“ bemüht sich Benoist, diese schlummernde, heidnische Beziehung zum Menschsein und zur Welt wiederzubeleben. Der Verlust von Heiligem und Schönem in der Welt und im Menschen, von erstrebenswertem Heldentum, der Niedergang der Völker und ihrer Kulturen, geht für ihn mit dem unterdrückten, unbewußten Heidentum und der beherrschenden Logik des Monotheismus einher. Monotheismus benutzt er weitestgehend synonym mit dem Begriff „Judenchristentum“. Den Kern des Monotheismus macht er demnach nicht in den unterschiedlichen Offenbarungen oder theologischen Unterschieden des Judentums oder des Christentums aus. Sondern in einem diesen innewohnenden Dualismus, der auf der Voranstellung des Logos gegenüber dem Mythos, der Offenbarung gegenüber der Erfahrung, der Trennung von Diesseits und Jenseits, Geist und Materie, der Menschheit im Gegensatz zu Gott als einem vollständig andersartigen Wesen beruht. Diese unüberbrückbare Kluft zwischen dem gefallenen Menschen und der gefallenen Welt einerseits und dem einzigen, perfekten, persönlichen Gott und dem Paradies andererseits sei letztlich ein Grund, daß der Mensch in einem gespaltenen Verhältnis zu sich selbst und der Welt lebe. Diesem Modell nach rein abhängig von der Gnade Gottes, sei der Mensch seiner Tatkraft beraubt, quasi impotent. „Das Bündnis, das er (Jahwe) schließt, besiegelt symbolisch diese Kastration.“ Die Ungenauigkeit des Begriffs „Judenchristentum“ geht Benoist bewußt ein.

Nach Benoist vereinnahmt Jahwe das Recht zu erschaffen, dem Menschen ist dagegen Gesetzes-treue auferlegt. Den so begründeten Monotheismus macht der Autor als Wurzel des Kulturverfalls der europäischen Völker und der Völker überhaupt aus. Die rationalisierende, also entmythisierende, Aufklärung, den Marxismus, die Rassenfeindlichkeit, die Homogenisierung stellen laut Benoist keinen Gegensatz zum Judentum oder Christentum dar, sondern sind die Konsequenz beziehungsweise Fortsetzung des monotheistischen Moralismus unter anderen Vorzeichen. Hier ist Jahwe dann als Prinzip zu verstehen, das der Ideologie entsprechend eine andere Funktion erfüllen kann.

Heidentum soll demnach ein Bruch mit dem monotheistischen Denken sein, keine Alternative im Rahmen dualistischer Prinzipien. Traditionell sei es im Sinne unüberholbarer Werte, die sich mythisch erhalten haben und an die angeknüpft werden könne. Das zyklische Geschichtsbild der Heiden, die Unschuld des Menschen, die Nähe zu den vermenschlichten Göttern und den vergöttlichten Helden, die Beseeltheit und Heiligkeit der Natur, der Mensch und die Welt als Maß der Dinge könnten auf diese Weise im Menschen eine Schöpferkraft entfachen, die ihn, befreit vom Joch des Gesetzes, zu neuer Großartigkeit in seiner Vielfalt anzuspornen vermag.

Alain de Benoist: Heide sein. Die europäische Glaubensalternative. Lindenbaum Verlag, Beltheim-Schnellbach 2023, gebunden, 324 Seiten, 26,80 Euro