© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Mädchen, das die Aufmerksamkeit sucht
Die Journalistin Sophie Passmann über die weiblichen Selbstzweifel in einer Welt des Patriarchats
Martin Voigt

Ein Buch voller unterhaltsam geschilderter Selbstzweifel einer 29jährigen Frau, die sich seit sie denken kann im Abgleich mit anderen Frauen für unattraktiv hält. Das ist Sophie Passmanns „Pick me girls“. Das häufigste Wort: „Ich“. Passmann weidet sich auf über 200 Seiten förmlich in ihrer Nabelschau, weil sie weiß, daß Frauen jede ihrer Zeilen auf eine Weise verschlingen werden, mit der nur ein Leser ein Buch verschlingt, dem schonungslos ein Spiegel vorgehalten wird. Feministische Rezensenten reagieren verstört, doch „Pick me girls“ führt die Bestsellerlisten an, und zwar mit der These: Frauen wollen Männern gefallen und sie tun alles dafür.

Passmann hat eine Einsicht, die ihr als verunsicherter Teenager fehlte: Ihre schwierigen Gefühlslagen, ihr Hadern mit Schönheitsidealen und Rollenerwartungen und ihr an männliche Aufmerksamkeit gekoppelter Selbstwert sind nicht ihr persönliches Schicksal, sondern unzähligen jungen Frauen geht es exakt genauso wie ihr. Die sozialen Medien sind ihr Beweis. Die Selbstdarstellungen ihrer Generation widerlegen so manche feministische Illusion. Passmann drückt das so aus: „Wenn in fünf Jahren der erste Soziologe TikTok runterlädt, wird er schnell merken, daß er und sein gesamtes Forschungsfeld von Teenagern mit Ringlicht obsolet gemacht wurden.“

Das titelgebende „Pick me“ basiert auf einem TikTok-Trend. Als „Pick me girl“ bezeichnen Mädchen andere Mädchen, die sich Jungen anbiedern, indem sie deren Interessen übernehmen. Sie hängen im Skatepark herum, aber nicht als hübsches Anhängsel der Skater, sondern sie haben ihr eigenes Board dabei und versuchen über die Kumpelnummer in die Welt der Jungen vorzustoßen. Sie fachsimpeln über die Abseitsregel und tunen ihren Audi in der Selbstschrauberwerkstatt, während sie die Bierflasche genauso lässig vom Deckel befreien wie die Herren der Schöpfung, die sie dulden unter der Voraussetzung, daß sie stets so wenig lästig sein mögen, wie sie sich derzeit noch präsentieren.

„Pick me girl“ wurde zum festen Begriff im feministischen Diskurs

„Pick me girls können nur pick me girls sein, wenn sie in einer Welt von Männern leben, die ihre eigene Anerkennung und Zuneigung als Instrument nutzen, um die Frauen in ihrem Leben handelbar und angenehm zu halten“, erklärt Passmann. Pummelige Mädchen, wie sie eines war, seien prädestinierte Pick me girls. Aber auch der Typus Spielerfrau, der eigentlich nicht darum betteln müßte, ausgewählt zu werden, und generell „alle Frauen, die im Patriarchat groß werden“ seien irgendwann einmal pick me girls, „manchmal“ oder „als Ausnahme“ oder „nur bei einem Mann in ihrem Leben“. Anders als andere Frauen zu sein sei die einzige Charaktereigenschaft des pick me girl. Andere Frauen würden dabei immer über weibliche Klischees definiert: „Oberflächlich, leicht hysterisch, unentspannt, eßgestört, Spielverderberinnen, die ihre Partner von entspannten Abenden mit den Jungs weglockten, um sich bei ihnen darüber auszuheulen, daß sie drei Kilo zugenommen hatten.“

Der männliche Leser, dem eine gesonderte Einleitung gewidmet ist, gewinnt den Eindruck, daß es sich bei dem untersuchten Phänomen lediglich um eine an Geschlechterklischees aufgehängte Stutenbissigkeit handelt. Jedenfalls wurde „Pick me girl“ zum Begriff im feministischen Diskurs, der den Kern des Dilemmas jedoch nur umkreist: „Ich würde gern etwas über alle Männer schreiben, mit denen ich je geschlafen habe“, beginnt Passmann einen Gedanken, um sich zu beschweren, wie herabwürdigend die Männer oft waren, mit denen sie im Bett gelandet ist. Allenfalls ein „Mittelmaß an Romantik und Zuneigung“ sei ihr entgegengebracht worden.

Die Autorin ist ein Kind ihrer Zeit: Mädchen suchen die romantische Liebe, wollen auserwählt sein und Annahme spüren. Sie nehmen alle Schritte vorweg und suchen dort, wo eigentlich „die Ehe vollzogen“ wird. Sie reihen One-Night-Stands aneinander und sind mehrfache Beziehungsrückläufer. „Jemanden daten“ ist ein Synonym für „Sex haben“ zum Zwecke der Beziehungsanbahnung.

„Ich glaube, man geht in dem Moment, in dem man sich voreinander auszieht, eine Art unausgesprochenen Vertrag darüber ein, daß man sich nicht gegenseitig lächerlich macht, sollte einer von beiden in naher oder entfernter Zukunft Bücher schreiben“, meint Passmann augenzwinkernd, doch es gelingt ihr unbeabsichtigt, etwas Bedeutsames einzufangen: Beim Sex entsteht etwas dauerhaft Bindendes. Daß die intimste Begegnung, die zwischen zwei Menschen möglich ist, ein Band knüpft, spiegelt sich nur unzureichend in Begriffen wie „Liebeskummer“ oder „Eifersucht“ wider. Weil Passmann ihre Expartner nicht einzeln vorführen will, „baut“ sie sich einen „Durchschnittstypen“, an dem sie sich abarbeitet, und beweist dabei unfreiwillig, welchen Wert Enthaltsamkeit hat: Sein Herz noch nicht verloren zu haben. Nicht vergleichen zu können. Nicht gebunden zu sein. Wer hingegen seinen zukünftigen Partner in die Reihe derjenigen stellen muß, die bereits nackt vor ihm standen, sollte sich nicht über ein Mittelmaß an Romantik beschweren. Das wäre ein spannendes Thema für die Generation der Influencer und Follower gewesen, doch Passmanns einzig greifbare Einsicht ist es, daß sie ihr Geld lieber in eine Therapie als in Schönheitseingriffe investiert hätte. Für den Anfang kein schlechter Tip.

Sophie Passmann: Pick me Girls. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023, gebunden, 224 Seiten, 22 Euro