© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Liebesgrüße aus Moskau
ARD-Dokus: Der Filmemacher Hubert Seipel hat Geld aus Putins Umfeld erhalten
Frank Hauke / Gil Barkei / Lorenz Bien

Ein neuer Medienskandal erschüttert die ARD. Laut Berichten unter anderem von Spiegel, Bild-Zeitung und ZDF hat der deutsche Filmemacher und Autor Hubert Seipel über dubiose Kanäle angeblich 600.000 Euro aus Rußland erhalten. Der 73jährige drehte für das Erste diverse Filme über das Land. Der öffentlich-rechtliche Sender strahlte auch Seipels weltweit erstes Fernsehinterview mit dem US-Whistleblower Edward Snowden aus, nachdem dieser nach Moskau geflüchtet war. Dafür erhielt der Journalist 2014 den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Beste Information“. Seipel wurde auch mit dem Adolf-Grimme-Preis und dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis ausgezeichnet. 

Seinem Sender, dem NDR, hat er nach dessen Bekundungen nicht mitgeteilt, Geld von Rußland erhalten zu haben. Auch der Buchverlag Hoffmann & Campe, der 2015 Seipels Biographie über den russischen Präsidenten Wladimir Putin und 2021 dessen Sachbuch „Putins Macht: Warum Europa Rußland braucht“ publizierte, will von den mutmaßlichen Geldflüssen nichts gewußt haben und stoppte nach der Veröffentlichung diverser Medienberichte nun die Verkäufe der Seipel-Bücher.

Die Zahlungen gehen den Recherchen zufolge aus vertraulichen Dokumenten aus Zypern hervor, die insgesamt 270 Journalisten von 69 internationale Medien im Zuge des „Cyprus Confidential“-Projekts ausgewertet haben – in erster Linie um dunkle Finanzgeschäfte von Oligarchen auf der Mittelmeerinsel und in der EU aufzudecken. Demnach unterschrieb Seipel im März 2018 eine „Sponsor-Urkunde“ für ein Buchprojekt „über das politische Umfeld in der Russischen Föderation, das im Jahr 2019 veröffentlicht werden soll“. Ein handschriftlicher Vermerk in dem Vertrag mit Seipel legt nahe, so die Berichte, daß es bereits 2013 eine ähnliche Vereinbarung für die Putin-Biographie gegeben habe. Seipel ist damit der erste renommierte westliche Journalist, von dem bekannt wird, daß er aus dem Umfeld des russischen Präsidenten bezahlt wurde.

Bei dem Sponsor, der die „politische und historische Entwicklung durch die Unterstützung des Autors einem breiteren Publikum zugänglich machen“ sowie „logistische und organisatorische Unterstützung“ während der Recherche leisten wollte, handele es sich um eine Briefkastenfirma. Diese nennt sich „De Vere Worldwide Corporation“ und sitzt auf den Britischen Jungferninseln in der Karibik. Laut Medienberichten gehört Seipels Vertragspartner dem Firmengeflecht des russischen Oligarchen und langjährigen TUI-Großaktionärs Alexej Mordaschow. Diesen haben die EU und die USA im vergangenen Jahr wegen seiner Putin-Nähe sanktioniert. Offen bleibt die Frage, ob und welche Gegenleistungen Seipel über das Buch hinaus erbracht haben könnte.

Gazprom bot der ARD eine Homestory mit Putin und Schröder

Seipel hat Putin mehrfach für die ARD interviewt. Auf Anfrage räumte er nun „Unterstützung“ durch Mordaschow ein. Der Unternehmer habe jedoch niemals Einfluß auf den Inhalt seiner Bücher und seine Unparteilichkeit gehabt. Tatsächlich heißt es im Vertrag, der Autor habe keinerlei „Verpflichtungen gegenüber dem Sponsor in bezug auf das Projekt (weder in bezug auf den Inhalt oder die Zusammensetzung des Buches noch in anderer Hinsicht) oder dessen Fertigstellung“. 

Der langjährige ARD-Moskau-Korrespondent Udo Lielischkies kritisiert gegenüber der Bild-Zeitung, der NDR hätte Seipels Nähe zu Rußland schon viel früher mißtrauisch unter die Lupe nehmen müssen. Durch frühere Filmangebote sei man im Bilde gewesen, daß Gazprom und der Kreml die Kontrolle über das Material und den fertigen Film wollten. 

Bereits 2004/05 habe es von seiten Gazproms ein Angebot an den WDR gegeben, eine Homestory über das Gasunternehmen zu drehen, mitsamt dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem russischen Präsidenten. Obwohl der WDR zunächst ablehnte, wurde das Werk 2006 schließlich doch gedreht – mit Seipel als Regisseur – und lief 2009 als „Story im Ersten“, produziert von ARD, WDR und NDR. Später zog die „auffällig kritiklose“ Dokumentation „Ich Putin“ 2012 Streit zwischen dem NDR und dem für die Rußlandberichterstattung zuständigen WDR nach sich. „Beim Anschauen“, so Lielischkies, hätten Journalisten doch automatisch überlegen müssen: „Was hat der gemacht, um den Zugang zur Macht zu gewährleisten?“ Doch der NDR sei „der Versuchung erlegen, Nähe zum faszinierenden russischen Präsidenten zu bekommen. Wer kriegt schon eine Homestory bei Putin? Das schaffen nur wenige. Das gilt dann als Scoop. Da hat man dann offenbar darüber hinweggesehen, daß der Preis Kritiklosigkeit ist.“

„Als Art Wiedergutmachung“ des NDR-WDR-Zoffs konnte das Studio Moskau jedoch lediglich eine Doku bringen, „in der es um die Opposition in Rußland und die Unterdrückung unter Putin ging. Die lief dann allerdings erst sehr spät abends im Programm.“ Und Seipel? Der produzierte trotz dieser Beigeschmäcker mit dem NDR bis 2019 weiter, darunter das besagte Interview mit Edward Snowden und eines mit Putin kurz nach dessen Annexion der Krim 2014.

Der NDR verweist dagegen auf Seipels Tätigkeit als „freier Autor“ in erster Linie „für die Produktionsfirma“ und kündigte die Prüfung rechtlicher Schritte an. Darüber hinaus soll der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann zusammen mit dem NDR-Justitiar Michael Kühn die Beauftragung und Umsetzung der Filme untersuchen. „Dabei geht es zunächst darum, den Sachverhalt und die Abläufe mit der gebotenen Sorgfalt aufzubereiten. Hierzu werden Unterlagen gesichtet und Gespräche mit den Beteiligten geführt. Im Anschluß ist zu prüfen, ob, wie und ab wann die Geldflüsse Hubert Seipels Arbeit für den NDR beeinflußt haben, gegen welche Regeln er dabei mutmaßlich verstoßen hat und ob der NDR hätte Verdacht schöpfen können“, heißt es in einer NDR-Erklärung. „Die Erkenntnisse fließen in einen unabhängigen Abschlußbericht für den Intendanten ein. Der Bericht soll auch Empfehlungen enthalten, ob und wie sich der NDR vor solchen Täuschungen schützen kann.“ 

Das Thema habe innerhalb der Anstalt „oberste Priorität“. Keiner der besagten Filme sei momentan in der ARD-Mediathek. Gegenüber dem NDR habe Seipel zwei „Sponsoring-Verträge“ 2013 und 2018 sowie damit verbundene Zahlungen von Alexej Mordaschow eingeräumt, berichtet die FAZ. In einem kritischen Interview mit dem SWR, in dem auch die eher putinfreundlichen Machwerke angesprochen wurden, hatte Seipel Geldflüsse aus Rußland noch bestritten.

Der Seipel-Skandal fällt in eine Zeit, in der der öffentlich-rechtliche Rundfunk – auch wegen weiterer Mißstände – massiv unter Reformdruck steht und mehrere Ministerpräsidenten mit einem höheren Beitrag hadern. Der Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Tom Buhrow, verteidigt im Deutschlandfunk den ÖRR und verwies auf ähnliche Fälle in privaten Medienhäusern wie den Skandal um den ehemaligen Spiegel-Autor Claas Relotius. Die Affäre Seipel sei daher „kein exemplarischer Fall für das öffentlich-rechtliche System“. Seipel hatte für den WDR ebenfalls Filme realisiert, beispielsweise die Dokumentation „Gigant Gazprom“ von 2009. 

Im gleichen Jahr erhielt er den Grimme-Preis für den Film „Leben und Sterben für Kabul“. Doch das Grimme-Institut überprüft derzeit, ob Seipel die Ehrung aberkannt wird. Seit Mitte der Neunziger hat Seipel insgesamt etwa 30 Streifen für ARD und ZDF gedreht. Die Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ hat schon erste Konsequenzen gezogen und Seipel den Austritt nahegelegt, seine stimmberechtigte Mitgliedschaft ruht bereits. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) zeigte sich ebenso schockiert und sprach angesichts der Enthüllungen von „einem Verstoß gegen die Berufsgrundsätze, die etwa im Pressekodex als unehrenhaftes und berufswidriges Verhalten bezeichnet werden“.