© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Immer Ärger mit Bernie
Kino I: Michael Caine und Glenda Jackson spielen „In voller Blüte“ ein Rentner-Ehepaar mit traumatischer Weltkriegsvergangenheit
Dietmar Mehrens

Ein Mann steht mit dem Rücken zur Kamera am Meer. Dann zeigt sie sein Gesicht: runzlige Haut, trüber Blick. Im Hintergrund ist an einem Gebäude ein weithin sichtbarer Schriftzug befestigt: 70 YEARS D-DAY. Damit ist klar: Diese Geschichte spielt im Jahr 2014, in dem sich die Landung der Alliierten an der Küste der Normandie zum siebzigsten Mal jährte. Der Mann am Strand ist Bernie Jordan, 90 Jahre alt, und er wird verkörpert von Oscar-Preisträger Michael Caine, einem unverwüstlich scheinenden Urgestein und Charakterdarsteller des britischen Films, der im März dieses Jahres seinen 90. Geburtstag feiern konnte. Unermüdlich lieferte Caine, bekannt geworden als Westentaschen-James-Bond Harry Palmer, bis zuletzt rührende Werke über Altersstarrsinn oder Altermilde ab, war in hohem Alter aber auch noch bei Großkalibern wie „Batman“ oder „Interstellar“ mit von der Partie. Diesmal ist von beidem etwas dabei, von der Milde und vom Starrsinn.

Gemeinsam mit seiner schwerkranken Frau Rene (Glenda Jackson), mit der Bernie ungefähr so lange verheiratet ist, wie der D-Day her ist, lebt er in einer Anlage für betreutes Wohnen. Er selbst könnte seinen Alltag noch allein bewältigen, Rene nicht. Zu den großen D-Day-Feierlichkeiten in Frankreich im Beisein von Weltprominenz wie US-Präsident Barack Obama oder der britischen Königin Elisabeth II. war er geladen, hat sich aber nicht rechtzeitig angemeldet, was er nun bereut.

In einer Gaststätte trifft er auf Veteranen der Wehrmacht

Aber dann steht Bernie eines Morgens ganz früh auf, setzt sich in einen Bus, und mit Hilfe des hilfsbereiten ehemaligen Royal-Air-Force-Piloten Arthur (John Standing) ergattert er ein Plätzchen auf der Fähre von Dover nach Calais. Und dann sind sie auf einmal wieder da: die traumatischen Bilder von der Landung in der Normandie. Bernie erinnert sich an seinen Kameraden Douglas Bennett, dem er Mut zusprach, ehe dieser an Bord eines Panzers Richtung Strand rollte, dem Verderben entgegen. Und auch Arthur schleppt ein Trauma mit sich herum: Als Weltkriegspilot bombardierte er die französische Küstenstadt Caen – 3.000 Tote in einer Nacht. Was Arthur nicht wissen konnte: Sein Bruder hatte sich der Résistance angeschlossen und war als Widerstandskämpfer in Caen, als die Bomben fielen. Als Bernie, der auch sieben Jahrzehnte nach Kriegsende noch ungern deutsche Schokolade ißt, in einer Gaststätte auf Veteranen der Wehrmacht trifft, muß er sich der Frage stellen, ob Versöhnung nur ein Ritual oder auch bei ihm ganz persönlich möglich ist.

Parallel zu dem, was Bernie und Arthur gemeinsam auf der Gedenkveranstaltung erleben, schildert der Film von Regisseur Oliver Parker die Nöte der in der Pflegeeinrichtung zurückgelassenen Rene, die nicht genau weiß, wo ihr Mann abgeblieben ist und daher die Pflegerinnen, die durch Bernies unangekündigtes Verschwinden zunehmend in Unruhe geraten, nicht beschwichtigen kann. Schließlich bekommt die Presse Wind von der Geschichte des ausgebüxten D-Day-Veterans. Und als klar ist, wohin er aufgebrochen ist, wird der große Ausbüxer („The Great Escaper“ ist der Originaltitel des  Films) zum Medienphänomen.

Was der Film erzählt, ist keine reine Fiktion: Im Juni 2014 verließ der Weltkriegsveteran Bernard Jordan tatsächlich sein Pflegeheim in Hove bei Brighton in Südengland, um in Frankreich an der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der D-Day-Landung teilzunehmen. Daß seine Geschichte Millionen Menschen weltweit bewegen würde, hätte wohl niemand weniger gedacht als der ehemalige Royal-Navy-Funker selbst. 

Aus den realen Begebenheiten hat Drehbuchautor William Ivory ein unspektakuläres und dennoch zutiefst bewegendes Alltagsdrama gewoben, das das Lösen einer Kinokarte unbedingt wert ist. Für die britische Schauspielerin Glenda Jackson war die Rolle als Bernies todkranke Gemahlin die letzte ihres Lebens. Sie verstarb wenige Monate nach Abschluß der Dreharbeiten Mitte Juni dieses Jahres. Und auch für Michael Caine könnte „In voller Blüte“ – wie von ihm unlängst in einem BBC-Interview angekündigt – der letzte Film seiner langen Leinwandkarriere gewesen sein. Es wäre ein würdiger Abschluß.