© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Korrekte Orthographie nur noch mit Schreibprogramm
Negative Folgen der Rechtschreibreform
(wm)

Die Konflikte um die Einführung der Rechtschreibreform am 1. August 1998 haben für Henning Lobin gezeigt, in welchem Maß sich sprachliche Themen bildungs- und kulturpolitisch aufladen können. Für den Germanistische Linguistik an der Uni Mannheim lehrenden Professor, der auch im Rat für deutsche Rechtsschreibung sitzt, ist diese bis 2004 noch nachgebesserte Reform trotz heftigster Widerstände eine Erfolgsgeschichte. Allerdings werde sie durch jüngste Ergebnisse des IQB-Bildungstrends von 2021 verdunkelt. Nicht wie erwartet hätten „Vereinfachungen“ der Reform zu Verbesserungen der Rechtschreibleistungen im Grundschulbereich, sondern im Gegenteil zu Verschlechterungen orthographischer Kompetenzen geführt – ein Trend, den jede Erhebung seit 2004 bestätige. Den Regelstandard im Bereich Orthographie erreichen heute nur noch 44,4 Prozent der Schüler statt 53,9 im Jahr 2016. Und 30,4 Prozent erfüllten nicht einmal den Mindeststandard, was im Vergleich mit 2016 (22,1) abermals eine deutliche Verschlechterung sei. Diese gehe einher mit ähnlich krassen Leistungsabfällen im Lesen, Zuhören, Rechnen. Mit Konsequenz habe sich daher auch bei Abitur-Aufsätzen die Fehlerfrequenz seit 20 Jahren laufend erhöht. Rettung aus dieser Misere bringt für Lobin das zu Reformbeginn noch nicht absehbare digitale Schreiben. Das habe zwar unerfreulich saloppe Anpassungen des Schreibens an technische Vorgaben ermöglicht. Doch dank der Autokorrektur und immer besser werdender Verfahren der Rechtschreibkorrektur werde schon bald niemand mehr gezwungen sein, einen orthographisch fehlerhaften Text abgeben zu müssen (Forschung & Lehre, 11/2023). 


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