© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Konservative im Abwärtsstrudel
Großbritannien: Premier Rishi Sunak verstört die Rechte / Rückschlag für den Ruanda-Asylplan
Julian Schneider

Ein Dauerfeuer schlechter Nachrichten prasselt auf die britische Tory-Partei und die Regierung ein. Ihre Ruanda-Asylpolitik – ein Scherbenhaufen, die Partei gespalten, die Wählerumfragen katastrophal. Unter 20 Prozent sind die Tories in einer Umfrage für den Fernsehsender GB News gefallen. Die sozialistische Labour-Partei hat einen gewaltigen Vorsprung aufgebaut und steht demnach weit über 40 Prozent. Geschieht nicht noch ein Wunder, so droht der Tory-Partei in einem Jahr eine vernichtende Abwahl.

Die miserablen Umfragewerte spiegeln die Unzufriedenheit der Wähler mit den seit 2010 regierenden Tories und mit Premier Rishi Sunak, der vor einem Jahr nach dem chaotischen Intermezzo von Liz Truss in die Downing Street kam. Sie sind aber auch die Quittung für den zerrissenen Zustand der Partei, der sich nach dem Rauswurf von Innenministerin Suella Braverman und der Berufung von Ex-Premier David Cameron ins Außenamt noch verschärft hat. Braverman war die Galionsfigur des rechtskonservativen Flügels, sie wollte die Einwanderungszahlen senken und die illegale Immigration stoppen.

Ein besonderer Tiefschlag für Sunak (aber auch für Braverman) kam mit dem Urteil des Supreme Court gegen den Ruanda-Asylplan. Die Richter haben das Gesetz, mit dem Asylbewerber nach Ruanda abgeschoben werden sollten, aus mehreren Gründen als rechtswidrig abgeschmettert.

Auch sein Versprechen, illegale Bootsmigration zu stoppen, wirkt zunehmend hohl. Eine bissige Times-Karikatur zeigte Sunak als braunen König auf einem Thron im Wasser vor den Felsen von Dover sitzend. Das Meer brandet ihm entgegen, am Horizont kommen Boote, er schreit mit angstgeweiteten Augen: „Keine Angst, ich kann das noch lösen“. Vermutlich kann er es nicht mehr lösen. 

Mit dem rechten Flügel scheint der Premierminister mit Bravermans Rauswurf ein Problem zu haben. Einige wetzen die Messer, wollen Sunak stürzen. Doch zu einem Mißtrauensantrag bekannte sich bislang öffentlich nur die ehemalige Ministerin Andrea Jenkyns, kein Schwergewicht. Braverman rechnete in einem dreiseitigen, millionenfach gelesenen Brief mit Sunak ab: Doppelzüngigkeit, Führungsschwäche und Verrat am Versprechen, die illegale Migration zu stoppen, warf sie ihm vor. „Ihr Plan funktioniert nicht, wir haben Rekord-Wahlniederlagen erlitten, Ihre Neuanfänge haben versagt und es läuft uns die Zeit davon.“ Zuvor hatte Braverman für Schnappatmung auf der Linken gesorgt, als sie Doppelstandards der Polizei im Umgang mit Demonstranten kritisierte: Hart gegen Lockdownkritiker, zart bei „Black Lives Matter“, wo die Polizei sogar einen Kniefall machte. Scharf kritisierte sie die aktuellen, teils antisemitischen propalästinensischen Großdemonstrationen.

Migration: Die bisherige „harte“ Gangart soll fortgeführt werden 

Nicht wenige liberale Blätter begrüßten Sunaks Kabinettsumbildung. Mit der überraschenden Rückkehr des „zentristischen“ Cameron und der Entlassung der „hetzerischen“ Braverman (so die Financial Times und der linke Guardian in trauter Eintracht) habe Sunak die Tories „in die Mitte“ gerückt. Ob die Rückkehr des 57jährigen Politrentners David Cameron wirklich hilft, bleibt zweifelhaft. Cameron sei wohl „nicht gerade die Zauberkugel“, merkte Politikprofessor John Curtis spitz an. Beim konservativen, eurofeindlichen Flügel, aber auch in der allgemeinen Bevölkerung, die sich an die Sparprogrammjahre erinnert, ist er keineswegs beliebt. Als der EU-Freund 2017 das Brexit-Votum verlor, trat er zurück, verdiente sich dann als Lobbyist für einen Finanzunternehmer, der eine Großpleite hinlegte, eine goldene Nase und blamierte sich. 

Camerons Berufung zum Außenminister erfreut das alte liberalkonservative Establishment, erzürnt indes die Rechte. Eine „abscheuliche Rückkehr“, findet der konservative Publizist Peter Hitchens. Denn es war Camerons „Modernisierung“ der Tories, die linksliberale Themen von der Homo-Ehe bis zur „Net Zero“-Klimapolitik forcierte.

Während besonders die Migrationsfrage die Rechte elektrisiert, bewegen andere Themen laut Umfragen die breitere Bevölkerung mehr, vor allem die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten. Labour-Chef Keir Starmer geißelt, daß in den dreizehn Tory-Jahren die Realeinkommen gesunken sind. In Scharen kehren Wähler besonders in Nordengland zu Labour zurück.

Die von Boris Johnson 2019 eroberte „rote Wand“ wird wieder rot, im Süden punkten die Liberaldemokraten in grün-liberalen Wahlkreisen. Auf der rechten Seite regt sich die kleine Rebellenpartei Reform UK. Ihr Vorsitzender Richard Tice ruft im Daily Telegraph konservative Abgeordnete zum Überlaufen auf. Für die Tories, die viele Anhänger bitter enttäuscht haben, wird es zum Verzweifeln eng.

Doch trotz aller Kritik und Unkenrufen gibt sich Sunak nicht geschlagen. Der zum Nachfolger  Bravermans ernannte bisherige Außenminister James Cleverly beeilte sich zu erklären, daß zwischen ihr und seine Migrationspolitik kein Blatt passe. Auch er fühle sich „absolut verpflichtet, die Boote zu stoppen. „Meine Priorität ist ihre Priorität. Wir werden nicht aufhören, bis die Boote gestoppt sind“, erklärte er dem Telegraph und lobte zudem Bravermans Arbeit: „Die Ankünfte von kleinen Booten sind zurückgegangen. Die Rückführung illegaler Einwanderer hat zugenommen.“

In die gleiche Kerbe schlagt Esther McVey, die 2018 als Ministerin für Arbeit und Renten fungierte und nun offiziell den Titel einer Ministerin ohne Portfolio erhielt. Inoffiziell werde sie als „Ministerin für gesunden Menschenverstand“ bezeichnet. Laut BBC soll McVeys Ernennung die konservativen Abgeordneten auf der rechten Seite der Partei beschwichtigen. So soll die bisherige Teilzeit-Fernsehmoderatorin bei GB News, einer Insiderinformation gegenüber The Sun zufolge, „die Anti-Woke-Agenda der Regierung anführen und als Ministerin am Kabinett teilnehmen“.

Und der Ruanda-Asylplan? Cleverly läßt im Telegraph keine Zweifel an dessen Umsetzung aufkommen und erklärt: „Natürlich akzeptiert die Regierung das Urteil, und wir haben uns darauf vorbereitet. Wir haben an einem neuen Vertrag mit Ruanda gearbeitet, der unverzüglich ratifiziert werden soll. Er wird rechtlich garantieren, daß diejenigen, die aus dem Vereinigten Königreich nach Ruanda umgesiedelt werden, vor der Abschiebung aus Ruanda geschützt sind.“