In Spanien spitzt sich der Streit zwischen dem wiedergewählten Ministerpräsidenten Pedro Sánchez und der rechten Opposition weiter zu. Nach den weitreichenden Zugeständnissen, die Sánchez der katalanischen separatistischen Partei Junts im Tausch für die parlamentarische Unterstützung einer weiteren Amtszeit machen mußte, sieht sich der Sozialdemokrat heftiger Kritik ausgesetzt.
Sánchez hatte zuvor eingewilligt, eine Amnestie für die Verantwortlichen des einseitigen Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien durch das Parlament des Königreichs verabschieden zu lassen. Seine Gegner werfen ihm daher vor, damit nicht nur das Vertrauen in den Rechtsstaat zu beschädigen, sondern mit der staatlichen Integrität des Landes zu spielen. Sowohl die christdemokratische Partido Popular (PP) als auch die rechte Vox riefen daraufhin zu Massendemonstrationen im ganzen Land auf, die mittlerweile in die dritte Woche gehen. Erneut protestierten am vergangenen Samstag Hunderttausende auf den Straßen Madrids für die Einheit des Landes. Auf Transparenten stand „Sánchez ins Gefängnis“, „Sánchez Vaterlandsverräter“ und „Pedro Sánchez, der Judas des XXI. Jahrhunderts“.
Wie aufgeladen die Stimmung im Land ist, zeigt auch eine etwas skurrile Episode. Wenige Stunden vor der Demonstration waberte ein Aufruf pensionierter Offiziere durch die sozialen Netzwerke. Eine kleine Vereinigung frankistischer ehemaliger Militärs rief darin zum Sturz der Regierung auf. Eine Steilvorlage für einige Parteifreunde von Sánchez, die umgehend der rechten Opposition eine „Kungelei mit rechtsradikalen Putschisten“ vorwarfen.
Doch auch die Parteichefs von PP und Vox griffen Sánchez in Auftritten am Rande der Kundgebung heftig an. PP-Chef Alberto Núñez Feijóo bezichtigte den Sozialdemokraten der Lüge, er habe die Wähler betrogen, da er vor der Wahl eine Amnestie ausgeschlossen habe. Vox-Chef Santiago Abascal bezeichnete Sánchez als „linken Diktator“.
Der so Gescholtene verteidigt hingegen seine Kungelei mit den Staatsfeinden, er habe „die Versöhnung der Rache, die Einheit der Spaltung“ vorgezogen, wie der neue und alte Premier bei einer Parlamentsrede zu Protokoll gab. Mit Blick auf die den Separatisten zugesagte Straffreiheit sagte Sánchez, diese werde „vielen Personen und politischen Führern zugute kommen“, deren Ideen er nicht teile und deren Handlungen er ablehne. Die Maßnahme sei jedoch notwendig, um „die Wunden zu schließen“, welche die „politische Krise, auf die niemand stolz sein kann“, gerissen habe. Er wolle „die Einheit Spaniens durch den Weg des Dialogs und der Vergebung“ gewährleisten.
Nur wenige trauen Sánchez eine längere Regierungszeit zu
Seine Gegner setzen mittlerweile nicht mehr nur auf den Druck der Straße, sondern auch auf die Justiz, die sei nun „aufgerufen, das Gesetz zu verteidigen“, wie es Jorge Buxadé, der Chef der Vox-Delegation im Europäischen Parlament gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ausdrückte. Es habe in Spanien einen „Staatsstreich“ gegeben. Kritik übte Buxadé auch an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, diese habe durch ihr Verhalten Schande über die Union gebracht. Von der Leyen hatte zuvor Sánchez zur Wiederwahl gratuliert. Doch die Partei rund um Abascal beließ es nicht nur bei Aufrufen. Wenige Tage nach Bekanntwerden der Absprache mit den Separatisten reichte die Rechtspartei Klage beim Obersten Gerichtshof ein und verlangte unter anderem die sofortige Aussetzung der Amtseinführung von Sánchez. Diese verstoße gegen mehrere Gesetze und gefährde außerdem das Staatsoberhaupt, den König von Spanien.
Die sozialdemokratische PSOE von Sánchez und die separatistische Junts des wegen Landesverrats verurteilten Carles Puigdemont werden in der Anklageschrift als „umstürzlerische Organisationen“ bezeichnet. Neben Sánchez wird zunehmend auch Puigdemont erneut zur Zielscheibe der Kritik. Nach der kläglich gescheiterten Unabhängigkeitserklärung 2017 floh Puigdemont nach Brüssel, wo ihn seine Partei zügig mit einem EU-Parlamentsmandat versorgte. Daß nun ausgerechnet der verurteilte Straftäter Puigdemont zum Königsmacher der spanischen Politik wird, bringt selbst moderate Konservative im Land auf die Barrikaden, und es sind mittlerweile nicht nur Konservative, die der neuen Regierung den Kampf ansagen.
Auch in der PSOE rumort es, denn auch bei der Basis der Sozialdemokraten ist die Amnestie unbeliebt. Umfragen vor den Wahlen zufolge lehnen vierzig Prozent ihrer Wähler die Amnestie ab, viele von ihnen dürften das Vertrauen in das parlamentarische System auf absehbare Zeit verloren haben – hatte doch Sánchez explizit vor der Wahl eine solche ausgeschlossen.
Hinzu kommt die schwere Hypothek, die Puigdemont seinem neuen Partner mit auf den Weg gibt. Neben der Amnestie, die nicht von ordentlichen Gerichten aufgehoben werden darf – zumindest auf dem Papier –, fordert Puigdemont auch 100 Prozent der in Katalonien erhobenen Steuern und eine formelle Untersuchung des katalanischen Status durch einen internationalen Mediator. Eine Unabhängigkeit der Region durch die Hintertür.
Die Ironie dabei liegt auch im Rückgang der Unterstützung für den katalanischen Separatismus, von 48 Parlamentssitzen der Region gingen 34 an zentristische Parteien, die sich explizit gegen die Unabhängigkeit aussprachen. Dennoch wollen Puigdemont und seine Mitstreiter von einer Absage an den Unilateralismus nichts wissen. Eine Pressemitteilung der PSOE, diese Absage sei vor der Zusage zur Amnestie erfolgt, erklärten die Separatisten umgehend zur Falschmeldung und betonten, Sánchez könne sich ihrer Unterstützung „nicht sicher sein“.
Eine Ohrfeige für den Regierungschef und ein Vorgeschmack auf eine Regierungszeit, der nur wenige zutrauen, länger als einige Monate zu dauern. Ob es aber nach Neuwahlen erneut für Sánchez reichen wird, ist mehr als fraglich, zu viel innenpolitisches Porzellan scheint bereits zerschlagen worden sein.