© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Ampel kaputt
Koalitionskrise: Nach der Klatsche in Karlsruhe kann es für die Bundesregierung kein „Weiter so“ geben
Paul Rosen

Nach nicht einmal zwei Jahren und somit kurz vor der Halbzeit der Legislaturperiode befindet sich das als „Fortschrittskoalition“ angetretene Bündnis aus SPD, Grünen und FDP bereits in der Schlußphase. Die massiven Buchungstricks, mit denen 2021 die schöne grüne Wunderwelt der Transformation und des Klimaschutzes errichtet und andererseits die von der FDP zum Dogma erklärte Solidität der Staatsfinanzen garantiert werden sollten, sind vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden. 

Finanzminister Christian Lindner (FDP) reagiert mit einer Haushaltssperre in dem vom Verfassungsgericht überwiegend stillgelegten Klimafonds und jetzt noch mit einem Stopp der Verpflichtungsermächtigungen im Bundeshaushalt 2023, „um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden“. Außerdem will er „mit weniger Geld wirksame Politik machen“. Dagegen reden SPD und Grüne von Steuererhöhungen und vom Aufweichen der Schuldenbremse. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält die Schuldenbremse für „wenig intelligent“, der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich auch.  

Dienstag erlebten die Koalitionäre in einer Expertenanhörung des Haushaltsausschusses des Bundestages ein Fiasko. Dort erklärte der Vertreter des Bundesrechnungshofes, nach dem Urteil seien sowohl der Haushalt 2023 als auch der Entwurf für  2024 in verfassungsrechtlicher Hinsicht „äußerst problematisch.“ Als wenn dies noch nicht dramatisch genug wäre und die Koalition damit vor den Trümmern ihrer Politik stünde, kamen die Rechnungsprüfer noch zu einer weiteren gravierenden Einschätzung: „Gleiches gilt für die Finanzierung des WSF Energiekrise in den beiden Jahren.“ Die Rechnungsprüfer standen mit ihrer Einschätzung nicht allein da, wonach sich nicht nur Haushalt und Klimafonds, sondern zugleich auch der Wirtschaftsbilisierungsfonds (WSF) durch das Urteil erledigt hätten. Hanno Kube (Universität Heidelberg) sah keine kurzfristige Beschlußreife der Gesetze und warnte vor der drohenden Verfassungswidrigkeit. Genauso äußerte sich Professor Dirk Meyer (siehe Seite 10).  

Selbst der Koalition gewogene Sachverständige wie Jens Südekum (Universität Düsseldorf) konnten nicht mehr helfen. Das Kürzen von Sozialleistungen zur Gegenfinanzierung von Investititonen sei kontraproduktiv und könne die soziale Akzeptanz der Transformation gefährden. Kurzfristig kommt laut Südekum nur eine Reform der Schuldenbremse des Grundgesetzes in Frage. Dafür bräuchte die Koalition die Zustimmung der Union, was im Moment als ausgeschlossen gilt. 

„Weder beim Klimaschutz noch beim Sozialstaat kürzen“

Nach dieser Anhörung ist der Haushaltsentwurf für 2024, der in der Woche ab 20. November vom Bundestag beschlossen werden sollte, Makulatur. Der AfD-Haushaltspolitiker Peter Boehringer kann sich bestätigt sehen. Er hatte im Bundestag den Haushalt 2024, sobald er verabschiedet sei, als  verfassungsrechtlich angreifbar bezeichnet. Das Urteil stellt laut Boehringer die seit 2021 praktizierte „illegale Staatspraxis aller Altparteien inklusive CDU wieder zurück auf rechtmäßige Füße“. 

Dadurch kann die Regierung eigentlich keinen Haushalt mehr beschließen lassen, der den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen würde – es sei denn, sie würde noch einen Weg finden, der wie ein enger Saumpfad mit hoher Absturzgefahr am Abgrund des Verfassungsbruchs vorbeiführen würde. Schon wird spekuliert, ob das Jahr 2023 nachträglich zur „außergewöhnlichen Notlage“ erklärt werden kann, um die Schuldenbremse umgehen zu können. Damit würde die Regierung aber einräumen, daß sie der Grund für die Notlage ist. 

Im Bundestag wurde deutlich, daß die Zerwürfnisse innerhalb der Koalition noch schwerer sind als bisher angenommen. Als Lindner in einer „aktuellen Stunde“ versicherte, es werde keine Steuererhöhung geben und die Schuldenbremse werde auch eingehalten, rührte sich bei den anderen Koalitionsfraktionen keine Hand zum Beifall. Was dort gedacht wird, macht zum Beispiel die SPD-Vorsitzende Saskia Esken mit ihrer Forderung deutlich, die Schuldenbremse für die Jahre 2023 und 2024 auszusetzen. Eine Reform der Bremse sei unausweichlich. Esken will Kürzungen „weder beim Klimaschutz noch beim Sozialstaat zulassen“, sondern Reiche stärker belasten.

Parallel zur politischen Aussetzung im Parlament wird in der grün-dominierten Öffentlichkeit Angst geschürt und Panikmache betrieben, sollte nicht kurzfristig Geld zur Rettung des Weltklimas aufgebracht werden können. So heißt es, das Programm zum Vernässen von Mooren sei ebenso gefährdet wie der klimaresiliente Umbau des Waldes. Auch Habeck rührte die Angsttrommel, indem er erklärte, die Gas- und Strompreisbremse könnten nicht mehr finanziert werden und die Preise für Strom, Gas und Fernwärme würden dann deutlich steigen. Dabei laufen die Bremsen im März aus, und die Energiepreise sind bereits so stark gesunken, daß die Bremsen eigentlich nicht mehr notwendig wären.

Aber Habeck verbreitet noch mehr Angst: Jetzt sei die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährdet. Die Umstellung auf nachhaltigere Produktionsmethoden werde ohne staatliche Subventionen kaum noch möglich sein. Dieses Angstszenario führte auch Habecks Parteifreund Andreas Audretsch fort, der jetzt die Herstellung von grünem Stahl bei ThyssenKrupp in Gefahr sieht. Nur das Wort Einsparungen kommt in den Reden der Koalition nicht vor. Der CDU-Abgeordnete Mathias Middelberg wies im Bundestag daraufhin, es könnten sofort drei Milliarden Euro gespart werden, wenn es gelinge, 100.000 Bezieher von Bürgergeld in Arbeit zu bringen. Es gibt 5,5 Millionen Bezieher von Bürgergeld, davon sind 2,6 Millionen unter 30 Jahre alt. 

„Weiter so“ ist für die Ampel keine Lösung. Wenn jetzt ein Etat verabschiedet würde, obwohl jedermann weiß, daß Anfang 2024 ein Nachtragshaushalt fällig wäre, käme es zum nächsten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit erwartbarem Ausgang: Die Koalition würde sich damit nach Heizungsgesetz und Sondervermögen die dritte Klatsche beim höchsten Gericht abholen. Falls sie bis dahin noch existiert.