© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/23 / 24. November 2023

Demokratiefeinde an der Macht
Innenministerin Faeser weitet Überwachung aus: Wie der Verfassungsschutz die Verfassung untergräbt
Hans-Georg Maaßen

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat offensichtlich ein Problem mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aber damit steht sie nicht allein. Dieses Problem und die Abneigung gegenüber der Freiheit, der Demokratie und der Grundordnung des Bonner Grundgesetzes haben alle, die aus dem Milieu der Antifa, der Roten Hilfe, der Jusos oder von anderen linksradikalen oder linksextremistischen Gruppen kommen. Es war ein schwerer politischer Fehler, daß einige dieser Organisationen nicht verboten wurden.

Deren Verständnis der Grundordnung ist ein sozialistisches: Freiheit ja, aber nur für diejenigen, die ihre sozialistische Ideologie teilen. Derjenige, der sie ablehnt, ist rechts und damit der Feind. Und der hat keine Rechte und schon gar keine Freiheiten, sondern muß vernichtet werden. Das ist der Kampf gegen Rechts. Und natürlich sind Sozialisten für eine gewisse demokratische Grundordnung. Aber das ist nicht die Ordnung des Grundgesetzes. Daß sich die DDR „demokratisch“ nannte, war ernst gemeint. Wer die Ideologie akzeptiert, darf mitentscheiden, wer sie ablehnt, ist ein Konterrevolutionär, ein Faschist oder wie man heute gern sagt: ein Nazi oder Verschwörungstheoretiker.

Das Grundgesetz dagegen sieht nicht vor, daß Freiheit und Demokratie nur für Linke gelten und daß Nichtlinke ausgegrenzt und politisch verfolgt werden dürfen. Danach sind nicht nur alle Menschen, sondern auch alle politischen Meinungen und Ansichten gleich. Es sei denn, jemand stellt es in Frage und meint, allein entscheiden zu können, wer Freiheiten und Demokratie genießen darf und wer nicht. Das sind Verfassungsfeinde. Was wir in den letzten Jahren – auch schon unter Bundeskanzlerin Merkel – erleben mußten, war eine erst schleichende und nunmehr galoppierende Ausgrenzung, Bekämpfung und Verfolgung von politischen Ansichten, die nicht dem ökosozialistischen Mainstream entsprechen. Menschen, die sich kritisch zur linken Regierungspolitik äußern, ob nun Asylpolitik, Gender, Klimapolitik oder Außenpolitik müssen mit persönlichen Konsequenzen rechnen.

Früher war jedem Verfassungsschützer bewußt, daß, sobald Linksextremisten die Schalthebel der Macht in ihren Händen haben, sie ihre Gegner verfolgen. Sie werden alle legalen und auch illegale Mittel einsetzen, um die bürgerliche Opposition zu vernichten und eine Politikwende zu verhindern. Zu den typischen Verfolgungshandlungen zählen die Zersetzung durch Rufmord und Ausgrenzung, dann die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage und schließlich Repression. Wir erleben, daß sich die politische Linke immer mehr Instrumente zur Bekämpfung politischer Gegner verschafft und dies abtarnt als „Kampf gegen Rechts“ und „Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Das ist zynisch. Der Instrumentenkasten der politischen Feindbekämpfung ist allmählich – teilweise ohne Kenntnis der Öffentlichkeit – immer voller geworden.

Inzwischen darf der Verfassungsschutz (VS) nicht nur Organisationen, sondern auch Einzelpersonen beobachten. Dafür reicht heute eine sogenannte „Delegitimierung des Staates“ oder eine „Verächtlichmachung der Regierung“ aus. Der Volksverhetzungstatbestand ist derart ausgeweitet worden, daß er für den Normalbürger kaum mehr bestimmt ist, weil bereits kritische Äußerungen mit rein zufälligen historischen Bezügen Grund für Strafverfahren sein können. Dieser Straftatbestand ist selbst zu einer Gefahr für das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung geworden, weil er eine erhebliche einschüchternde Wirkung gegenüber normalen Bürgern erzielt. Der VS darf Handys und Rechner bereits überwachen, wenn nur Anhaltspunkte dafür bestehen, daß ein Bürger eine Volksverhetzung plant.

Der Beamtenapparat soll noch stärker auf linke Linie gebracht werden. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung des Disziplinarrechts soll nicht mehr ein unabhängiges Gericht die Entfernung aus dem Dienst anordnen. Vielmehr darf die Behörde dies selbst tun und der Beamte dann klagen. Schon eine Verurteilung wegen Volksverhetzung erlaubt die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Politische Beamte im einstweiligen Ruhestand, die nach dem Verständnis des VS nicht mehr verfassungstreu sind, droht der Verlust der Versorgungsansprüche. Eine Neuregelung, die ich als Spezialvorschrift gegen mich empfinde. Neben mir dürfte es kaum deratige Beamte geben, die sich regierungskritisch äußern.

Nun soll im Bundesverfassungsschutzgesetz eine „Anschwärzungsregelung“ eingeführt werden. Bisher hat der Staat Denunziation nur in eine Richtung gefördert. Durch Aufrufe und Verpflichtung zur Einrichtung von Meldestellen wurden Bürger angehalten, angebliche Rassisten, Transphobe und Verfassungsfeinde zu melden. Mit dem neuen Mitteilungstatbestand im VS-Gesetz soll die Denunziation auch umgekehrt möglich sein: Der VS sagt dem Arbeitgeber, dem Vermieter, Kunden, Freunden oder Familienangehörigen seiner Zielperson, daß es sich bei ihr um einen schlimmen Zeitgenossen handelt. Leute, die den Staat möglicherweise nur „delegitimieren“ oder die Regierung „verächtlich machen“. 

Jeder kann sich vorstellen, was das bedeutet: Menschen verlieren Job, Wohnung oder Bankkonto, weil Arbeitgeber, Vermieter oder Geschäftspartner sich sicherlich regierungskonform verhalten und nichts mit Regierungsgegnern zu tun haben wollen. Das darf der Staat in einer freiheitlichen Demokratie grundsätzlich nicht. Er darf (mit wenigen Ausnahmen) aus guten Gründen auch nicht warnen, wenn ein Straftäter entlassen wird und einen Job annehmen will. 

Was ermächtigt die Behörde einer sozialistischen Ministerin, zu entscheiden, wer angeblicher Feind der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist und damit aus dem gesellschaftlichen Leben ausgestoßen werden kann? Dagegen dürfte ein Rechtsschutz kaum möglich sein. Der Betroffene erfährt gar nicht, weshalb er Job oder Bankkonto verloren hat. Mecklenburg-Vorpommerns Ex-Finanzminister Mathias Brodkorb meint, der VS entwickele sich mit Hilfe der Politik zu einer Behörde, die selbst die Demokratie zu gefährden droht. Der Umbau der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in ein politisches System, das nicht mehr die Freiheit des anderen schützt und das nur noch diejenigen als Demokraten ansieht, die die ökosozialistische Ideologie unterstützen, ist weit fortgeschritten.






Dr. Hans-Georg Maaßen, Jahrgang 1962, war von 2012 bis 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Der Jurist ist Mitglied der CDU.