Wir sind einen Tag zu früh in Manvel. Meine Frau und ich wollen alte Freunde besuchen, die in die USA ausgewandert sind. Der Ort liegt im Großraum Houston, direkt südlich davon. Das Städtchen bietet nichts, was einem länger als zwei Tage in Erinnerung bleiben würde. Bis auf das große Staatsgefängnis, das so gut wie alles hier beherrscht. Die Millionenstadt Houston zieht uns auch nicht unbedingt an, eher noch die nahe Golfküste mit Galveston und den Stränden.
Der Sohn unserer Freunde arbeitet tatsächlich im nahen Gefängnis als Wärter. Das sei ein guter Job, wie er sagt. Der junge Mann ist Beamter, hat einen sicheren Arbeitsplatz, verdient gut und hat geregelte Dienstzeiten.
Da wir zu früh sind und nicht unhöflich sein wollen, fahren wir zum nächsten Motel.
Die Eltern sind seinetwegen hier in die Nähe gezogen, sie wollen nahe bei den Kindern und Enkeln sein. Sie haben sich kürzlich ein schönes Haus in der Kleinstadt gebaut und können bequem zu Fuß in wenigen Minuten bei ihrer Familie sein. Das heiße und schwüle Klima und die etwas langweilige Kleinstadt sind ihnen nicht so wichtig. Die Nähe zum Nachwuchs ist für sie das, was zählt, und das kann man absolut nachvollziehen.
Da wir zu früh sind, fahren wir für heute zum nächsten Motel, wir möchten nicht unhöflich sein und wollen erst am nächsten Tag wie abgesprochen bei unseren Freunden erscheinen. Das Motel gehört zu einer bekannten Kette, es ist soweit ordentlich, aber definitiv keine Luxusabsteige.
An der Rezeption sitzt eine stattliche schwarze Lady, hübsch und attraktiv. Und sie ist – typisch texanisch – auch freundlich und herzlich. Natürlich wird sogleich gefragt, wo wir her wären. Dann möchte sie wissen, was uns denn nach Manvel bringen würde.
„Wir wollen Freunde besuchen“, antworte ich. Anscheinend habe ich nicht deutlich genug gesprochen und mein „friends“ wird von ihr wohl als „friend“ im Singular aufgenommen.
Die Dame hinter dem Tresen nickt verständnisvoll, sie weiß Bescheid. Sie beugt sich über den Tresen, näher zu uns heran und fragt im Verschwörerton: „In welchem Trakt sitzt denn ihr Freund?“