© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/23 / 17. November 2023

Große Teile der bayerischen Machtelite waren involviert
Der Publizist Armin Fuhrer widmet sich der Vorgeschichte und den Hintergründen des Hitler-Putsches in München vor hundert Jahren
Peter Backfisch

Der Historiker und Journalist Armin Fuhrer erzählt ein spannendes Stück Zeitgeschichte von November 1918 bis Frühjahr 1924. Im ersten Teil des Buches wird Hitlers persönliche und politische Entwicklung von November 1918 bis Dezember 1922 untersucht, um in einem weiteren Teil seinen lokalen Aufstieg im Kontext der Gesamtlage Deutschlands im Krisenjahr 1923 aufzuzeigen. Wichtigste Akteure und Unterstützer werden beschrieben. Schließlich wird die unmittelbare Entwicklung bis zum Putsch vom 8./9. November 1923 akribisch nachgezeichnet. Das Buch schafft Klarheit, beim sogenannten „Hitler-Putsch“ ging es um mehr als nur um den Putsch eines lokalen Matadors, der später zum allmächtigen Diktator aufsteigen sollte. 

Seine Anfänge findet Hitler bei Aktionen der Münchner Räterepublik im Herbst 1918, überraschend im Umfeld der Linken, der MSPD (Mehrheitssozialdemokraten). Da die Revolution im Frühjahr niedergeschlagen wurde, mußte Hitler, der berufslos ohne Anstellung war, sich völlig neu orientieren. Er wählte den Seitenwechsel, hin zur politischen Rechten. Diese fand er bei der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), aus der nur ein Jahr später die NSDAP hervorgegangen ist. Es war sein Ziel, daraus eine Massenpartei zu machen. Seine rhetorischen Fähigkeiten wurden schnell erkannt und ebneten den Weg zum beachteten Redner in München. Bereits 1920 griff er nach dem Vorsitz in der Partei, was ihm mit raffiniertem Intrigenspiel gelang. Von nun an war er auch Gesprächspartner der politischen Prominenz, bis hin zu den Größen der bayerischen Machtelite, die selbst um Machterhaltung bemüht war. Frühe Förderer tauchten mehr und mehr auf und machten ihm den Weg zu immer mehr Einfluß frei.

Den Putsch prägte das doppelte Spiel zahlreicher Akteure

Mit Beginn des Jahres 1923 wurden die Verhältnisse immer unruhiger. Sie nahmen mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen, um Reparationszahlungen einzufordern, ihren Anfang. Die verheerende „Hyperinflation“ war die Folge, die zur Verarmung großer Teile des deutschen Volkes führte, namentlich der Mittelschicht. Die Reichsregierung rief zu passivem Widerstand auf, blieb aber letztlich inaktiv. Forderungen und Aktionen zur Separation vom Reich wurden laut und fanden im Rheinland Zustimmung. Die Separatisten waren sich dabei der Unterstützung Frankreichs sicher. Im Oktober 1923 trat die KPD in die sächsische und thüringische Landesregierung ein, worauf die Reichsregierung eine „Reichsexekution“ gegen beide Länder erließ. Im Oktober rief die KPD in Hamburg, die Arbeiterschaft zu einem Aufstand auf, der kläglich scheiterte.

Die beiden Tage des Putsches nehmen mit 130 Seiten knapp die Hälfte des Buches ein. Fuhrer schildert detailliert den Ablauf der Ereignisse, zeigt die Unterstützung der Mitverschwörer aber auch das doppelte Spiel zahlreicher Akteure auf.

Am 8. November schließlich schreitet Hitler zur Tat. In einer Versammlung im Bürgerbräukeller ruft er zum „Marsch auf Berlin“ und zur „nationalen Revolution“ auf. Die Ereignisse überstürzen sich, und es wird deutlich, daß große Teile der konservativ-nationalen Machtelite Bayerns involviert waren. Nicht zuletzt ist Hitler zahlreichen anderen Putschplänen gegen die Reichsregierung, so von Generalstaatskommissar Gustav von Kahr und anderen Führern rechter Verbände, einschließlich der bayrischen Staatsregierung, zuvorgekommen. Daß der Putsch am Ende kläglich scheiterte, wirft die Frage auf, ob nicht gar Hitler mit seinem Vorbrechen „unbewußt zum Retter der Weimarer Republik“ geworden ist?

Der ab Februar 1924 durchgeführte Prozeß gegen die Putschisten war eine Farce. Es erging ein überaus mildes Urteil. Hitler und die anderen Hochverräter kamen nach wenigen Monaten auf freien Fuß und konnten ihre staatsfeindlichen Aktivitäten fortsetzen.

Armin Fuhrer: Hitlers Putsch und der Hochverrat von München. Lau Verlag, Reinbek 2023, gebunden, 340 Seiten, 25 Euro