© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/23 / 17. November 2023

Stümperhafte Aufarbeitung
Einzeltäter oder Verschwörung? Der Mord an US-Präsident Kennedy ist bis heute nicht aufgeklärt
Jürgen W. Schmidt

Am 22. November 1963 wurde der jugendlich wirkende, charismatische John F. Kennedy, 35. Präsident der Vereinigten Staaten, auf einer Wahlkampfreise durch Texas in Dallas ermordet. Drei Schüsse, oder waren es vier, fielen in schneller Folge auf den in einem pompösen Lincoln Continental X 100 mit offenem Verdeck befindlichen Präsidenten. In dem Wagen saßen auch seine Ehefrau Jackie und der texanische Gouverneur John Connally mit Frau, begleitet von einem Leibwächter und dem Fahrer, die zum Secret Service gehörten.

Auf weitere Secret-Service-Agenten auf den Trittbrettern des Wagens bzw. ein geschlossenes Verdeck verzichtete Präsident Kennedy ausdrücklich, weil er durch seine eigene Person und seine populäre Gattin auf die erwarteten 200.000 Schaulustigen wirken wollte. Gemäß der offiziellen Version gab der hochintelligente, ein für seine 24 Jahre unstetes Leben führende und seinerzeit im Schulbuchdepot Dallas tätige Lee Harvey Oswald aus ebenjenem Schulbuchdepot auf die unweit vorbeifahrende Präsidentenlimousine mittels eines mit einem Zielfernrohr versehenen Karabiners drei gezielte Schüsse ab. Der erste Schuß ging angeblich fehl, der zweite Schuß traf den Präsidenten im Hals. Der dritte Schuß ließ den Kopf des Präsidenten wie einen Kürbis aufplatzen. Die Leibwächter erblickten durch ein golfballgroßes Loch im Kopf des Präsidenten dessen offenliegendes Gehirn. Man brachte ihn samt seiner verstörten Frau ins Parkland Memorial Hospital, wo Kennedy kurz darauf verstarb.

Undurchsichtige Hintergründe bei Oswald und Ruby

Nach einem ersten Moment der Konsternation gingen Secret-Service-Beamte, Staatspolizisten von Texas und kommunale Polizeibeamte auf die Suche nach dem Täter. Man verdächtigte schnell Lee Harvey Oswald, der indessen vorerst unbehelligt das Schulbuchdepot verlassen konnte. Oswald begab sich in seine Wohnung, tötete danach angeblich um 13.15 Uhr einen Streifenpolizisten und wurde um etwa 13.50 Uhr in einem Kino festgenommen. Bei den polizeilichen Verhören bestritt Oswald entschieden die Ermordung des Polizisten wie auch des Präsidenten. Er erklärte: „I’m just a patsy“ (Ich bin nur ein Sündenbock). Weitere Aussagen konnte Oswald nicht mehr tätigen, denn bei seiner Überführung ins Staatsgefängnis von Dallas erschoß ihn am 24. November 1963 noch auf dem Polizeirevier ein Nachtclubbesitzer polnisch-jüdischer Herkunft namens Jack Ruby vor laufenden Kameras. 

Ruby, der im Zweiten Weltkrieg bei der Air Force gedient hatte, galt als zwielichtiger, mafianaher Geschäftsmann. Angeblich wollte er mit seiner Tat Jackie Kennedy den Prozeß gegen den Mörder ihres Mannes ersparen. Bis zu seinem Tod, Ruby verstarb am 3. Januar 1967 an Lungenkrebs, behauptete er, ein Einzeltäter und kein Mitglied einer Verschwörung zu sein. Präsident Kennedy wurde ungewöhnlich schnell bereits am 25. November 1963 auf dem amerikanischen Heldenfriedhof Arlington beigesetzt. Obwohl der Leichnam nach geltendem Recht in Texas hätte obduziert werden müssen, verbrachte ihn der Secret Service sogleich an Bord der Air Force One nach Washington, wo drei Ärzte im Bethesda Naval Hospital eine oberflächliche Obduktion vornahmen, ohne sich mit den Ärzten des Parkland Memorial Hospital in Dallas ins Befinden zu setzen. Während man in Dallas je eine Schußverletzung von vorn und hinten zu erkennen glaubte, war man in Washington fest davon überzeugt, daß beide Wunden auf Schüsse von hinten hindeuteten. 

Das bekräftigte die These vom Einzeltäter, nämlich von Lee Harvey Oswald, welcher von hinten auf den Präsidenten schoß. Allerdings glaubten seinerzeit etwa ein Drittel der Augen- und Ohrenzeugen, auch Schüsse von vorn, von einem Grashügel hinter einem Bretterzaun, vernommen zu haben. Dies hätte eine Verschwörung vermuten lassen, weil Präsident Kennedy folglich im Kreuzfeuer mehrerer Attentäter zu Tode kam und Oswald demzufolge kein Einzeltäter war. Doch durch schlampige Tatortarbeit und eine oberflächliche Obduktion waren wertvolle Spuren verwischt worden. Unverständlicherweise verschwand sogar das zu Beweiszwecken aufbewahrte Gehirn des Präsidenten, welches zumindest darüber Auskunft geben konnte, ob wirklich beide Schüsse von hinten kamen. 

Das FBI war jedenfalls sehr daran interessiert Oswald als Einzeltäter darzustellen, der wirren marxistischen Ideen anhing. Mit 17 Jahren trat dieser ins US Marine Corps ein, wo er schon ein Jahr später in der Luftüberwachung eines geheimen US-Stützpunktes in Japan stationiert wurde, von dem auch das US-Spionageflugzeug U-2 seine Flüge über die Sowjetunion startete. Nach seiner Dienstzeit reiste er 1960 über Finnland in die Sowjetunion, wo er eine Russin heiratete, mit der er bereits 1962, in der Hochphase des Kalten Krieges, in die USA zurückreisen konnte, um dort im exilrussischen und exilkabunischen Mileu Kontakte zu knüpfen. Auch die vom neuen US-Präsidenten Johnson am 29. November 1963 berufene Warren-Kommission verkündete bereits nach neun Monaten und 51 Sitzungen die Auffassung, Oswald sei ein Einzeltäter gewesen. 

Allerdings kam ein 1976 berufener parlamentarischer Untersuchungsausschuß des Repräsentantenhauses zum immerhin bemerkenswerten Ergebnis, es habe anscheinend doch einen zweiten Schützen gegeben, welcher vom erwähnten Grashügel aus schoß, den Präsidenten aber verfehlte. Gemäß dem Untersuchungsausschuß waren weder die Sowjetunion noch Kuba in das Attentat verwickelt, wohingegen man eine Beteiligung von Exilkubanern oder von Mafiaangehörigen nicht ausschließen könne. Die Mafia war über Präsident Kennedy und besonders über dessen Bruder, den Justizminister Robert Kennedy, erbost, weil beide die Justizorgane auf die bis dahin juristisch wenig behelligte Mafia hetzten. 

Offiziell gilt bis heute der Mord als Tat eines politisch Verwirrten

Erhebliche Zweifel an der Einzeltäterschaft von Oswald hatte gleichfalls der Bezirksstaatsanwalt von New Orleans Jim Garrison, ein ehemaliger Weltkriegsflieger und Ex-FBI-Ermittler, mit seinem Untersuchungsteam geweckt. Da sich Oswald vor der Ermordung Kennedys eine Zeitlang in New Orleans aufhielt, betrachtete sich Garrison ermächtigt zu Ermittlungen. Er deckte in der Tat eine Reihe erstaunlicher Fakten auf, die es möglich erscheinen ließen, daß man seitens amerikanischer Geheimdienste planmäßig Oswald zum Strohmann einer geplanten Ermordung aufbaute. Damit wollte man den unliebsamen Präsidenten beseitigen, der sowohl den „Kalten Krieg“ gegen die Sowjetunion wie auch die beginnende Verwicklung der USA in den Vietnamkrieg einzudämmen beabsichtigte. Doch wurden Garrison offiziell viele Steine in den Weg gerollt, und er scheiterte letztlich 1969 bei seinem Versuch, seine Theorie der Ermordung Kennedys gerichtlich zu begründen. Der US-Regisseur Oliver Stone hat 1991 auf Grundlage des 1992 auch auf deutsch erschienenen Buches „Wer erschoß Präsident Kennedy? Auf den Spuren der Mörder von Dallas“ von Jim Garrison sein Welterfolgsdrama „JFK – Tatort Dallas“ in die Kinos gebracht. 

Offiziell gilt in den USA die Ermordung Kennedys immer noch als Tat eines einzelnen, politisch Verwirrten. Dennoch glaubt eine zunehmende Zahl von US-Amerikanern daran, daß der Präsident einer Verschwörung zum Opfer fiel.