Frisia non cantat – um Friesland machen die Musen einen weiten Bogen, so hieß es durch die Jahrhunderte. Otto Waalkes singt, malt, scherzt und lacht auf eigene Faust, ohne sich vor den Musen zu verbeugen, die vor dem Ottifanten, seinem plumpen Maskottchen, Reißaus nehmen, in dem allerdings Deutsche ein tierisch ernstes Symbol ihres vom Herzen kommenden und zum Herzen redenden Humors liebgewonnen haben
„Mit viel Herzblut“ und vielen Ottifanten hat Otto, wie er kurz genannt wird, unlängst in Altona ein „Global Gate“, ein Brandenburger Tor auf seine besondere Art errichtet, das uns in freudige Stimmung versetzen und zugleich zum Denken anstoßen soll. Denn das international bekannte Brandenburger Tor, als Vorbild des ottonischen Global Gate, ist „ein Symbol des Friedens und der Hoffnung“. Tore laden zum Durchschreiten ein, sie eröffnen Zugänge in die weite Welt, überwölbt vom Regenbogen, an dessen Abglanz wir ein Sinnbild des verheißungsvollen Lebens haben.
Daran sollen viele bunte Bilder erinnern, die Ottos Tor schmücken und ihm eine tiefere Bedeutung verleihen, sogenannte klassische Kunstwerke oder von Otto Waalkes entworfene und als Huldigung an Caspar David Friedrich oder Freddie Mercury gedacht, die im Zusammenhang mit dem kompakten Tiersymbol uns neue Horizonte eröffnen in eine Welt ohne Grenzen, in der es nur noch Menschen gibt, denen nichts Menschliches fremd ist.
Vor diesem Brandenburger Tor sollen wir alle zu Otto werden, zu Ottonen, die sich stürmisch versichern: Seid umschlungen Millionen. Und der Ottifant knurrt behaglich dazu. Der friesische Sinnstifter variiert das Bekenntnis, das in rasch wechselnder Reihenfolge immer wieder ausgeht vom Brandenburger Tor in Berlin, eingetaucht in die Farben der Fahnen verschiedener menschlicher Gemeinschaften, früher Staat oder Nation genannt: „Wir“ sind jetzt alle wahlweise Amerikaner, Franzosen, Ukrainer, Israelis oder im Zeichen des Regenbogens miteinander Versöhnte – alle, die sich in reiner Mitmenschlichkeit ihrer seligen und beseligenden Allgemeinheit erfreuen.
Keiner wird gefragt, ob er zu dem „Wir“ gehören mag. Es wird ihm von Obrigkeiten unterschiedlichster Legitimität zugemutet, von der Regierung über Parteien und „Leitmedien“ bis hin zu „zivilgesellschaftlichen“ Organisationen und Kirchen, die sich mittlerweile als humanistische Union verstehen. Ununterbrochen ein neues Wir zu werden, könnte sehr anstrengend werden, sollen „wir“ uns doch nicht nur mit fernen Ländern, oder auch mit Schwulen und Lesben, solidarisieren, sondern sogar identifizieren.
Freilich handelt es sich nur um feierliche Redewendungen, die zu nichts verpflichten und alsbald vergessen werden, um den allerneuesten Forderungen des Tages rund um das Brandenburger Tor gerecht zu werden: Kindergeburtstagen, Fußballfesten, sexuellen Stolzfeiern oder dem obligatorischen Jahresabschluß mit Feuerwerk. Das Brandenburger Tor darf nicht dunkel bleiben, es muß Berlinern und anderen Menschen strahlend versichern: schön ist es auf der Welt zu sein, auch wenn zuweilen trübe Wolken aufziehen, die „wir“ aber resolut verscheuchen, wenn wir uns alle geschwisterlich zusammentun und mit erhobenen Händen einen Kuß der ganzen Welt zuwerfen.
Allerdings haben es Tore so an sich, auch geschlossen werden zu können und nicht jedem den Zugang zu erlauben oder den Aufenthalt in seiner Nähe zu gestatten. Wem nicht als Mensch der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, der hat am Brandenburger Tor nichts zu suchen. Menschenfreunde sind sehr streng. Wer nicht ihr Wohlgefallen findet, der wird in ihren Bund nicht aufgenommen, der jedem Verdienste seine Kronen gewährt, aber den Untergang der Lügenbrut geschworen hat.
Leugner von allem möglichen, Verschwörer, Schwurbler und weitere Unholde, die als solche von wahrhaften und wehrhaften Demokraten benannt und verdammt werden, dürfen erst mit Nachsicht rechnen, sobald Spruchkammern deren Schuldbuch vernichtet haben und ihr Ungeist sich mit tätiger Reue zum guten Geist geläutert hat. Dann erst können sie der Freude schöner Götterfunken auf dem hochmoralischen Rummelplatz vor dem Brandenburger Tor teilhaftig werden. Das müssen vor allem Russen, Islamisten, Xenophobe und die übrigen Feinde des Menschengeschlechtes bedenken, zu denen womöglich auch solche zu rechnen sind, die immer noch Friesenwitze machen und die hintergründige Heiterkeit der Ottomanen diskriminieren.
Derartige Spekulationen hatten mit dem Brandenburger Tor ursprünglich nichts zu tun. Dessen feste Gestalt verschwimmt bei den frohen Bekundungen unserer Werte, in so vielen Farben, je nach Anlaß, schillernd, daß es höchstens noch als phantastische Erscheinung in der Nacht wahrgenommen wird. Es heißt zwar oft, dieses Tor sei ein Wahrzeichen Berlins, ja ein Nationaldenkmal, aber insgesamt wird es wie ein etwas peinliches Spielzeug behandelt, das einer bunter Kostümierung bedarf, um nicht als Netzhautkränkung zu stören.
Es war nicht als ein Nationaldenkmal errichtet worden, weil es während seiner Bauzeit, 1789 bis 1793, noch gar keine politische deutsche Nation gab. Die Deutschen waren allerdings stolz auf ihre Kulturnation und hatten allen Grund dazu. Preußen war ein hervorragender Teil dieser deutschen Gemeinschaft. Goethe hatte später in seinen Erinnerungen „Dichtung und Wahrheit“ berichtet, wie durch Friedrich des Großen Heldentaten die deutsche Literatur einen bedeutenden Inhalt bekam, der die Temperamente aufmunterte und aus bequemer Behaglichkeit herausriß.
Goethe blieb immer „fritzisch“ wie in seiner Jugend und fand gerade unter Preußen und Berlinern zahllose Freunde und aufrichtige Bewunderer seiner Werke. An Preußen nach Friedrich dem Großen vermißte er freilich den militärischen Charakter, schließlich war er, als Minister seines Herzogs und eines preußischen Generals, selber 1793/94 Soldat gewesen. Das Brandenburger Tor war nie als Sie-gestor gedacht, trotz der Victoria, der Siegesgöttin. Es galt als Friedenstor zum Gedächtnis daran, wie Friedrich Wilhelm II. 1787 entschlossen mit seinen Truppen in den aufgeregten Niederlanden, von ihnen zu Hilfe gerufen, für Ruhe und Ordnung gesorgt hatte. Die Victoria und die Reliefs am Tor verweisen auf das Bündnis von Mars, dem Kriegsgott, und Minerva, der Göttin von Wissenschaft, also auf die Tapferkeit, die Zwietracht und Neid überwindet, weil im Bunde mit der Staatsklugheit. Beide zusammen ermöglichen die schönste Frucht des Friedens, Freude und Festlichkeit, von Comus, dem Genius der energischen Lebenslust, repräsentiert. Der preußische König verließ 1795 die große Koalition gegen Frankreich und verschaffte dem nördlichen und mittleren Deutschland, während die Welt an allen Ecken und Enden brannte, wie Goethe schrieb, einen fieberhaften Frieden, „in welchem wir uns einer problematischen Sicherheit hingaben“.
Diese elf Jahre bis zur Niederlage 1806 gegenüber Napoleon bildeten eine großartige Epoche in deutscher Literatur und Wissenschaft, heraufgeführt durch Preußen und dessen Könige, die sich als Treuhänder ihrer Völker verstanden und deshalb überzeugt waren, nicht leichtsinnig, wie leidenschaftliche Demokraten, mit unbedachten Kriegen die Existenz ihres Staates aufs Spiel setzen zu dürfen. Das Viergespann der Victoria wurde 1806 von den französischen Siegern nach Paris abtransportiert, was von allen Deutschen als Schmach und Demütigung empfunden wurde.
Die in den Befreiungskriegen von französischer Despotie siegreichen Deutschen brachten die Quadriga 1814 wieder nach Berlin und auf das Brandenburger Tor zurück. Damit begann eine Entwicklung, die das Tor mit dem Werden der deutschen Nation und ihren weiteren Geschicken unmittelbar verquickte. Ohne dazu ausdrücklich erhoben zu sein, gewann es ab 1871 den Rang eines nationalen Denkmals, keineswegs als prahlerisches Siegestor, das erlaubte seine Architektur gar nicht, sondern als Friedenstor, weil das geeinte Deutschland gerade zusammen mit seinen Verbündeten von Mitteleuropa aus in Übereinstimmung mit Rußland ein Hüter des europäischen Friedens und einer von ihm garantierten Ordnung sein wollte und konnte.
Durch das Tor schritten die im Felde unbesiegten Truppen, wie 1919 Reichspräsident Friedrich Ebert sie begrüßte, die Truppen aller deutscher Staaten, noch weit schlimmer gedemütigt als 1806. Durch das Brandenburger Tor nahmen auch die Fackelträger der Deutschen Revolution von 1933 ihren Weg, und auf dem Pariser Platz vor dem Tor versammelten sich Deutsche, um den Sieg über Frankreich 1940 enthusiastisch zu feiern. Auch Gegner des Nationalsozialismus konnten sich dem Jubel nicht entziehen, es ging ja um das Reich und die Nation, um das ganze Deutschland.
Nach 1945 war das von den angloamerikanischen Bomben schwer beschädigte Tor zum Symbol der von den Siegern dekretierten Auflösung Preußens als Staat und damit des Endes der deutschen Nation, wie sie unter dessen Anleitung Preußen geschaffen worden war. Das Brandenburger Tor in Ruinen stand für Untergänge, zugleich wollten die in den Westzonen und in der Ostzone zusammengedrängten Restdeutschen es in seiner Trümmerhaftigkeit doch auch als Zeichen der Hoffnung begreifen, nicht ein und für alle Male zu verzagen. Es waren vor allem Russen, die sich 1990 nicht vor dem Zusammenschluß der Deutschen fürchteten. Gorbatschow und die russische Bereitschaft, gemeinsam mit den Deutschen abermals in neue Zeiten aufzubrechen, sind untrennbar mit dem Brandenburger Tor verbunden.
Das ist alles vergessen, vorbei. Die Westdeutschen hielten gerade wegen der Vereinigung der deutschen Bruchstücke an dem zu ihrer Staatsräson gewordenen Mahn- und Weckruf fest: „Nie wieder Deutschland“, der Deutsche davor bewahre, jemals wieder bei einig Volk und Vaterland an etwas anderes zu denken als an unser Unheils Unterpfand. Deutsch sein heißt, rein menschlich sein und deswegen allzeit bereit, Amerikaner, Ukrainer, Israelit oder wer auch immer zu sein, erlöst von der entsetzlichen Qual unter Deutschen ein Deutscher zu sein. „Laßt uns Deutsche nicht allein“, für diese flehentliche Bitte an alle Menschen und Mitmenschen steht indessen das kosmopolitische Mehrzwecktor als Symbol einer Nation, die gar keine sein will.
Dr. phil. Eberhard Straub, Jahrgang 1940, habilitierter Historiker, Publizist und Buchautor, war Feuilletonredakteur der FAZ und Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin.
Illumination des Brandenburger Tores
Für die Anstrahlung des Brandenburger Tors bedarf es grundsätzlich einer Anordnung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Nach Angaben der Senatskanzlei gelten dafür folgende Kriterien:
l Ereignis terroristischer Natur. Dies schließt Unglücksfälle und sonstige Ereignisse wie Jahrestage etc. pp. grundsätzlich aus.
l Das Ereignis hat in einer der Partnerstädte Berlins stattgefunden.
l Darüber hinaus kann die Anstrahlung auch bei einem entsprechenden Ereignis in Städten, mit denen Berlin eine besondere Verbundenheit hat, angeordnet werden.
l Weiterhin kann bei herausragenden Ereignissen von historischer, politischer und globaler Bedeutung mit unmittelbarem Bezug zu Berlin die Illumination angeordnet werden.
l Ausgenommen von diesen Regelungen ist die bisher einzige regelmäßige Illumination im Rahmen des jährlich stattfindenden Lichterfestes.