© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/23 / 17. November 2023

Länger arbeiten für weniger Rente
Sozialpolitik: Die Finanzen der Rentenversicherung scheinen bis 2028 stabil / Diskussion um Höhe der Bundeszuschüsse
Jörg Fischer

Norbert Blüms erfolgreiches Wahlkampfmotto von 1986/87, „... denn eins ist sicher: Die Rente“, löst bei vielen Häme aus. Dabei versprach der CDU-Arbeitsminister nichts Unmögliches: Wer 1988 in Rente ging und 45 Versicherungsjahre nachwies, hatte ein Nettorentenniveau von 56,3 Prozent seines Arbeitseinkommens. Das war zwar weniger als 1977 (59,8 Prozent), aber mehr als zu Beginn der sozialliberalen Koalition 1970 (55,2 Prozent). Vor 35 Jahren mußten in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) 100 Beitragszahler für 33 Altersrentner sorgen. 1970 waren es nur 22.

Heute ist das Verhältnis 100 zu 47. Das Nettorentenniveau ist 2012 erstmals unter 50 Prozent gesunken. Das Rentenalter steigt hingegen bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre – wer das nicht schafft, dem drohen empfindliche Abzüge vom ohnehin gesunkenen Nettorentenniveau. Hinzu kommt die 2005 eingeführte Rentenbesteuerung. Die umlagefinanzierte GRV-Rente sorgt daher künftig immer weniger für ein auskömmliches Altersruhegeld. Doch „sicher“ ist sie vorerst weiterhin.

„Die Finanzlage in diesem Jahr ist weiterhin stabil“, rechnete Alexander Gunkel, Chef des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung (DRV), vorige Woche bei einem Seminar in Würzburg vor. „Das liegt vor allem daran, daß die Einnahmen aus beitragspflichtiger Beschäftigung erneut deutlich gestiegen sind.“ In diesem Jahr rechne die GRV hierbei mit Einnahmen von 258,4 Milliarden Euro – das seien 13,2 Milliarden Euro (5,4 Prozent) mehr als 2022 bzw. 36,6 Milliarden Euro mehr als 2019. Hinzu kommen 15,8 Milliarden von der Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie den freiwillig Versicherten. Die Gesamteinnahmen summierten sich auf 375,8 Milliarden Euro. Die Lücke von 27 Prozent füllten Bundesmittel von 101,6 Milliarden Euro.

Die sollen Kindererziehungszeiten (17,3 Milliarden) und „nicht beitragsgedeckte Leistungen“ (84,3 Milliarden) finanzieren. Zu letzteren zählen unter anderem der Grundrentenzuschlag, Weltkriegsfolgelasten, Renten an Spätaussiedler oder Sonderkosten der deutschen Einheit. Der Bundeszuschuß soll ab 2024 um 600 Millionen Euro pro Jahr gekürzt werden. „Der Bund schadet damit massiv dem Vertrauen in die Rentenversicherung“, findet DRV-Chef Gunkel. „Und wie realistisch ist es dann, daß der Bund ab 2028 die jetzt geplanten Kürzungen wieder zurücknimmt?“ Damit würde sich die Zusage der Großen Koalition, daß der Grundrentenzuschlag vollständig aus Steuermitteln finanziert wird, als „hohles Versprechen erweisen“.

Im laufenden Jahr sieht es trotz schrumpfender Wirtschaft gut aus: Die erwarteten Ausgaben lägen bei 374,7 Milliarden Euro. „Damit entsteht insgesamt ein Überschuß von 1,1 Milliarden Euro.“ Dieser werde in die „Nachhaltigkeitsrücklage“ von 44,5 Milliarden Euro überführt. Damit könnten die GRV-Ausgaben für sieben Wochen vollständig finanziert werden. Da der GRV-Beitrag von 18,6 Prozent nicht gesenkt werde, stünde „ein etwas größerer Puffer zum Ausgleich unterjähriger und konjunktureller Schwankungen der Einnahmen und Ausgaben zur Verfügung“, so Gunkel.

Und die „Reserve“ wird 2023 auch wieder verzinst: Man rechne mit einem Plus von 800 Millionen Euro und 2024 mit 1,6 Milliarden Euro. „Das entspricht rechnerisch immerhin einer Entlastung von knapp 0,1 Beitragssatzpunkten“, erläuterte Gunkel. 2022 hatte die GRV mit ihrer „Nachhaltigkeitsrücklage“ wegen der EZB-Negativzinsen ein Minus von 141 Millionen Euro verbucht. Auch für die kommenden fünf Jahre ist der DRV-Chef optimistisch: Bis 2028 rechne er mit einem Wachstum der Pflichtbeiträge um insgesamt 21 Prozent. „Dieses Wachstum ergibt sich dabei nicht mehr aus einem Anstieg der Beschäftigtenzahlen, sondern allein aus der Lohnentwicklung“, prognostizierte Gunkel.

Rentenwachstum ergibt sich nur noch aus der Lohnentwicklung

Da ab 2028 immer mehr „Babyboomer“ in Rente gehen, ist dieses Jahr für die GRV eine „Zeitenwende“: Das Rentenniveau liege dann mit 47,8 Prozent unter dem Niveau von 2023 (48,2 Prozent), der Beitrag steige auf 18,7 Prozent. „Nach geltendem Recht sinkt das Rentenniveau bis 2030 auf 46,9 Prozent und bis 2035 auf 45,4 Prozent. Die Untergrenze für das Rentenniveau von 43 Prozent, die noch bis 2030 gilt, wird damit sogar bis 2035 und auch danach nicht unterschritten“, hofft Gunkel. Und sollte das versprochene „Rentenpaket II“ der Ampelkoalition kommen, könnte es eine „Verlängerung der Haltelinie von 48 Prozent für das Rentenniveau über das Jahr 2025“ hinaus geben.

Dies gehe allerdings „mit zusätzlichen Kosten einher“. Sprich: Es wird teurer für die Beitrags- oder die Steuerzahler, sollte der Bund dafür aufkommen. Auch beim geplanten Einstieg in eine teilweise kapitalgedeckte GRV-Finanzierung ist der DRV-Chef skeptisch: Die Entlastungswirkung für die Beitragszahler sei, „legt man das bisher für den Aufbau des Generationenkapitals geplante Volumen zugrunde, sehr begrenzt“. Mit verläßlichen Zuführungen an die GRV sei „angesichts der Volatilität der Kapitalmärkte kaum zu rechnen“. Im Ergebnis würden die Beitragszahler „das Risiko tragen müssen, wenn erwartete Kapitalerträge ausbleiben“.

Der 2020 verstorbene Blüm ging und Gunkel geht mit dem „Rentensicherheitsversprechen“ davon aus, daß Deutschland ein wachsendes Industrie­land ist. Doch das ist inzwischen fraglich. Sollten die gut bezahlende Auto-, Chemie- und Metallindustrie sowie ihre Zulieferer vertrieben werden, um „Dekarbonisierung“ und „Klimatransformation“ durchzusetzen, fehlen der GRV potente Beitragszahler. Prekär beschäftigte Dienstleister, Mindestlöhner und Wärmepumpeninstallateure können die Rentenversprechen jedenfalls nicht finanzieren.

Und es gibt ein weiteres Gerechtigkeitsproblem: Die Nettostandardrente bei 45 Versicherungsjahren liegt seit Juli bundeseinheitlich – vor der Besteuerung – bei 1.503 Euro. Die tatsächliche Durchschnittsrente liegt aber weit darunter: Ende 2022 waren es bei Männern im Westen 1.279 Euro, bei Frauen 789 Euro. Die Invalidenrente lag sogar bei nur 935 bzw. 911 Euro. Gleichzeitig beziffert NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die Steuerzahlerkosten für einen Flüchtling – Taschengeld von 410 Euro, Unterkunft, Betreuung, Integration – auf durchschnittlich 20.000 Euro jährlich. Das sind monatlich 1.667 Euro.

 www.deutsche-rentenversicherung.de