Drei Wochen hält das „Bodenmanöver“ der israelischen Armee „Zahal“ im Norden des Gazastreifens nun an. Längst ist sie im Zentrum von Gaza-Stadt angekommen. Drei Divisionen haben die Israelis am Boden im Einsatz, zwei davon aus dem regulären Heer, eine aus der Reserve. Letzteres ist bemerkenswert, weil sich damit erstmals seit dem Ersten Libanonkrieg von 1982 wieder eine vollständige Reserve-Division im Kampfeinsatz befindet. Auch damals hatte Israel Krieg gegen eine terroristische Guerillagruppe geführt, seinerzeit Jassir Arafats PLO.
Die Bodentruppen sind von mehreren Seiten in den Gazastreifen vorgedrungen: Im Nordosten kümmern sich Einheiten um die Stadt Beit Chanun; im Nordwesten ist die Armee entlang der Mittelmeerküste nach Süden vorgestoßen; und von Osten her ist sie bis zum Meer durchgedrungen. Die Bodentruppen arbeiten eng mit der Luftwaffe zusammen, lenken immer wieder Kampfjets zu gerade ausgemachten Terrorzielen.
Die Biden-Regierung zeigt sich entsetzt über Opferzahlen
Trotz dieses integrierten und von der politischen Führung als erfolgreich gepriesenen Ansatzes ist der Kampf tödlich: Hamas-Anhänger kommen aus Hinterhalten und Tunneln hervor und nehmen israelische Einheiten mit Panzerabwehrwaffen ins Visier. Nicht selten sind sie dabei in Zivil unterwegs. So hat Israel seit Beginn des Bodenmanövers mehr als 40 Soldaten verloren, viele von ihnen in ihren Zwanzigern. Während des Gaza-Kriegs 2014, der eine begrenzte israelische Bodenoperation beinhaltete, hatte Israel an die 70 getötete Soldaten verzeichnet.
Die Armee behauptet, schon jetzt die Hamas-Kommandoketten beeinträchtigt zu haben. Sie geht von 30.000 Hamas-Terroristen aus, die in fünf Brigaden, 24 Bataillone und 140 Kompanien organisiert sind. Mehrere führende Hamas-Kader wurden ausgeschaltet. Die wichtigsten, Gazas Hamas-Chef Jachja Sinwar und Militärführer Mohammed Deif, sind nicht darunter. Gleichwohl spricht die Armee von einem Kontrollverlust der Hamas. Überprüfen läßt sich das nicht. Auffällig ist aber, daß der Raketenbeschuß aus dem Gazastreifen signifikant zurückgegangen ist. Dies dürfte jedenfalls teilweise auch auf das Vorrücken der Armee zurückzuführen sein.
Als ein wichtiges Ziel hatte die Armee bereits zu Beginn der Bodenoperation das Schifa-Krankenhaus markiert. Schifa, eine Handvoll Querstraßen von der Mittelmeerküste entfernt, ist das größte Krankenhaus im Gazastreifen mit einer jahrzehntelangen Geschichte. Sie beinhaltet auch den kuriosen Fakt, daß ein Teil des Komplexes – zur Zeit der israelischen Besatzung – von israelischen Architekten designt wurde.
Die Armee geht davon aus, daß sich unter dem Krankenhauskomplex mehrere wichtige Kommandostrukturen der Hamas befinden. Dieser Vorwurf ist nicht neu: Er kam bereits 2008/2009 während der Operation „Gegossenes Blei“ und 2014 erneut während der Operation „Starker Fels“ auf. Seit vergangener Woche werden aus der unmittelbaren Umgebung Kämpfe gemeldet.
Während die Armee über der Erde schnell vorankommt, wartet die größte Gefahr noch immer unter ihr im weit verzweigten Tunnelsystem der Hamas. Zudem befindet sich auch im bisher weitgehend ausgeklammerten Süden des Gazastreifens terroristische Infrastruktur. Möglicherweise hält sich hier auch ein erheblicher Teil der israelischen und internationalen Geiseln auf. Nach der Freilassung von vier Frauen hat es keine weiteren Rückkehrer gegeben, wenngleich über einen möglichen Austausch immer wieder spekuliert wird.
Die militärischen Herausforderungen sind das eine, die politischen das andere: Premierminister Benjamin Netanjahu hat in der vergangenen Woche gleich mehreren US-Fernsehsendern Interviews gegeben – ein deutlicher Hinweis darauf, daß er glaubt, einem zunehmenden amerikanischen Druck entgegentreten zu müssen.
Die Biden-Administration macht deutlich, daß sie die palästinensischen Opferzahlen für ein großes Problem hält. Auch die teils schwere Gewalt einiger extremistischer Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland – kein neues Phänomen – sorgt für Unmut. Provokative Äußerungen unbedeutender israelischer Minister, etwa zum Atombombeneinsatz in Gaza, laden die Lage zusätzlich auf. Mittlerweile setzt Israel lokale Feuerpausen um und läßt viel internationale Hilfe in die Küstenenklave kommen.
Meinungsverschiedenheiten zeichnen sich auch für den Tag nach Kriegsende ab. Die USA haben eine klare Präferenz, im Gazastreifen die 2007 durch die Hamas vertriebene Palästinensische Autonomiebehörde von Mahmud Abbas zu reinstallieren. Netanjahu hat deutlich gemacht, daß er das nicht möchte. Er verweist auf die Terrorverstrickungen auch der Autonomiebehörde.
Ob es nach dem Krieg noch auf Netanjahu ankommt, ist fraglich. Benny Gantz, ein Zentrist, der im Kriegskabinett sitzt und zukünftig eine wichtigere politische Rolle spielen könnte, hat sich in der Vergangenheit deutlich aufgeschlossener gegenüber der Autonomiebehörde gezeigt. Das alles aber ist Zukunftsmusik. Aktuell konzentriert sich Israel auf den Krieg – ein Krieg, der weiter eskalieren kann: Zuletzt forderten die Angriffe der Hisbollah-Miliz aus dem Libanon ein weiteres ziviles Todesopfer.