© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/23 / 17. November 2023

Grüße aus … Wien
Halali im Morgengrauen
Robert Willacker

Der sonore Ton eines Jagdhorns ertönt über dem noch in dünnen Morgennebel gehüllten Weingarten. Die in einigem Abstand aufgereihten Jäger lassen, vom Klang des Horns dirigiert, mit tausendfach geübter Handbewegung je zwei Schrotpatronen in ihre Flinten gleiten. Während die mitgeführten Hunde stürmisch nach vorn preschen, setzt sich die Schützenkette der Jäger betont langsam in Bewegung – die Treibjagd hat begonnen.

Wenn der Spätherbst aufzieht, kommen im Osten Österreichs die Niederwildjagden auf Hasen, Fasanen, Rebhühner & Co. zur Hochblüte. Dann versammeln sich die Grünröcke aus nah und fern, um gemeinsam den flinken Wildtieren zu Wasser, zu Lande und in der Luft nachzustellen. 

Zu diesem Zweck trifft man sich in aller Regel bereits früh am Morgen und zumeist in einem örtlichen Gasthaus, um dort gemeinsam zu frühstücken und die Erwartungen an den Jagdtag zu teilen. Wenn im Anschluß sodann der Jagdherr die Rahmenbedingungen der Jagd erläutert und die Sicherheitsbelehrung durchführt, steigt die Vorfreude bei allen Anwesenden noch einmal rapide an. 

Die Jagd, das ist ein unvergleichliches Erlebnis von Natur, Gemeinschaft und Tradition. 

Auch die mitgeführten Hunde lassen sich nun von dieser kribbelnden Atmosphäre anstecken und werden sichtbar unruhig – wissen sie doch, daß ihr unverzichtbarer Einsatz unmittelbar bevorsteht. Der eine oder andere Vierbeiner jault deshalb schon einmal kräftig mit, wenn die Jagdhornbläser nach dem ausgiebigen Frühstück zum Aufbruch blasen. 

Die Lust, Liebe und Leidenschaft zur Jagd wurde bereits in zahllosen Gedichten, Romanen, Essays und Liedern festgehalten; und doch: wirklich fassen und begreifen kann sie nur, wer sie selbst erlebt und ausgeübt hat. Dabei kommt es für den echten Weidmann (und die echte Weidfrau) auch gar nicht so sehr darauf an, wie viele Tiere am Ende des Tages zur Strecke gebracht wurden – „nicht geschossen ist auch gejagt“ lautet ein in Jägerkreisen bekanntes Sprichwort. 

Die Jagd, das kommt durch besagte Jägerweisheit schön zum Ausdruck, ist nämlich deutlich mehr als das bloße Erlegen von wild lebenden Kreaturen in den Wiesen und Wäldern. Die Jagd, das ist ein unvergleichliches Erlebnis von Natur, Gemeinschaft und Tradition. Sie testet manches mal unsere Geduld, oft genug unseren Willen und zuweilen auch unsere Leidensfähigkeit. 

Sie lehrt den Jäger damit nicht nur vieles über die Flora und Fauna, sondern vor allem auch eine ganze Menge über sich selbst. Und wenn man am Ende des Tages erschöpft, aber von Erlebnissen erfüllt nach Hause zurückkehrt, dann spürt man als Jäger das besondere Privileg, Teil eines sehr viel größeren Ganzen sein zu dürfen.