© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/23 / 17. November 2023

Ländersache: Rheinland-Pfalz
Die Teilung überwinden
Paul Leonhard

Es gibt noch gute Nachrichten in Sachen Einheit. In Rheinland-Pfalz wuchs diese Woche zusammen, was zusammengehört.  Nur daß es fast 900 Jahre gedauert hat.

Die Geschichte beginnt mit 37 Ordensfrauen, die aus den Niederlanden in das 1137 gestiftete Augustinerinnenkloster „Mariae vallis“ ziehen. Um dieses siedeln sich Menschen an und entlang des Hubachs, der die Grenze zwischen der Grafschaft Saffenburg und dem Erzbistum Köln markiert, entsteht der Weiler Marienthal.

Auch wenn der Bach längst unterirdisch verläuft, rüttelte niemand an dieser Grenze. 18 Häuser auf der einen Seite, 19 auf der anderen. Zwei Postleitzahlen, zwei Telefonvorwahlen, unterschiedliche Zuständigkeiten. Es schien den Einwohnern selbstverständlich, daß der westliche Teil des Weilers zur Ortsgemeinde Dernau, der östliche zu Walporzheim und damit zur Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler gehörte – bis im Sommer 2021 die verheerende Flutkatastrophe kam und den von hohen Weinbergen umgebenen Ort weitgehend zerstörte. 

Nicht nur die Schäden waren immens, auch die Helfer hatten immense Probleme, sich in den beiden Marienthals zurechtzufinden: Denn Marienthal-Ost gehörte zum Einsatzabschnitt III, Marienthal-West zum Einsatzabschnitt I. Auch später habe die Teilung des Ortes für Probleme gesorgt, erzählt der Ortsbürgermeister von Dernau, Alfred Sebastian (CDU). Niemand habe sich so richtig zuständig gefühlt für die Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen.

Für die Wiederherstellung der zerstörten Telefonleitungen, Strom- und Wasserversorgung mußten immer die zuständigen Ansprechpartner aus Dernau und Bad Neuenahr angehört werden. An der doppelten beziehungsweise geteilten Zuständigkeit scheiterte fast der geplante Aufbau eines umweltfreundlichen Nahwärmenetzes, das die zerstörten Ölheizungen in den Häusern ersetzen sollte. Irgendwie brachte dies das Faß zum Überlaufen. Die Marienthaler wollten nicht wieder zurück zur alten Normalität, sondern eine Verwaltungsreform.

Von 85 stimmberechtigten Einwohnern stimmten 77 für den Zusammenschluß, fünf dagegen. Auch der Ortsgemeinderat in Dernau, zu dem künftig auch das „andere“ Marienthal gehören soll, gab grünes Licht für die Eingliederung. Schließlich stimmten der Stadtrat Bad Neuenahr-Ahrweiler und die Verbandsgemeinde Altenahr zu. Zuvor wollten es die Stadträte aber ganz genau wissen und schrieben alle Bewohner des städtischen Teils von Marienthal an, ob sie tatsächlich den Wechsel nach Dernau befürworten. Von 47 Angeschriebenen reagierten 37, und von diesen stimmten 29 (78,4 Prozent) zu, fünf sprachen sich dagegen aus und drei enthielten sich.

Der Genehmigung dieser freiwilligen Gebietsveränderung gingen detaillierte Verhandlungen voraus. Schließlich geht es nicht nur um eine Handvoll Häuser und hundert Menschen, sondern auch um 7,2 Hektar Wald und 2,7 Hektar Weinbauflächen. Aber nun ist der Vertrag feierlich unterzeichnet. Künftig gibt es nur noch ein Marienthal. Und damit der demokratische Schwung bleibt, sollen die Marienthaler 2024 einen eigenen Ortsbeirat und einen eigenen Ortsvorsteher wählen.