Am Anfang stand ein Antrag zur „Mecklenburgischen Kleinseenplatte Touristik GmbH“ in der Stadtvertretung der 3.500-Seelen-Gemeinde in Mirow. Am Ende steht ein Politbeben innerhalb der FDP, bei dem die Basis der Partei in Mecklenburg-Vorpommern die landespolitische Karriere eines wichtigen Intimus des mächtigen Parteichefs Christian Lindner vorerst beerdigt. Aber der Reihe nach.
Im Juni stellen AfD und FDP in der Kleinstadt an der Seenplatte einen Antrag, in dem sie um mehr Informationen bitten, ob das oben erwähnte Unternehmen aufgelöst werden soll. Ein Thema, das nur wenige Bürger interessiert und kaum für Aufsehen gesorgt hätte, wenn eben nicht AfD und FDP den Antrag gemeinsam eingebracht hätten. Und eigentlich hätte auch das kaum jemanden interessieret, gäbe es da nicht Moritz Harrer. Zu diesem Zeitpunkt war Harrer noch im Landesvorstand der FDP in Mecklenburg-Vorpommern und hatte etwas geschafft, was sich viele FDP-Nachwuchspolitiker wünschen. Eine Anstellung im Bundestagsbüro von Christian Lindner, dem Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzenden. Dort ist Harrer als „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ für die „Online-Kommunikation“ des Abgeordneten Lindner zuständig. Ein Job, für den ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Chef nötig ist.
Harrer, so schildern es FDP-Mitglieder der JUNGEN FREIHEIT, ist ehrgeizig und will mehr. Im April dieses Jahres wird er zu einem der stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Kurz nachdem die örtliche Tageszeitung Nordkurier eher beiläufig über den AfD-FDP-Antrag berichtet hatte, bringt er einen Antrag in den Landesvorstand ein. Das Papier liegt der jungen freiheit vor und trägt den Titel „Eine echte Brandmauer gegen die AfD“. Darin heißt es: „Aus Sicht der Freien Demokraten ist jede Demokratin und jeder Demokrat dazu verpflichtet, gegen antidemokratische und antiliberale Bewegungen aktiv und klar Stellung zu beziehen.“ Die AfD sei eine solche Bewegung. „Eine Zusammenarbeit mit ihr ist daher aus Sicht der Freien Demokraten in keiner Form und auf keiner Ebene möglich.“
Doch die Kommunalpolitik hat ihre eigenen, pragmatischen Regeln. Anders als im politischen Berlin geht es meist um „kleine Themen“, bei denen die Parteizugehörigkeit wenig zählt. Man kennt sich eben. Das Ergebnis: Harrers Antrag bekommt keine Mehrheit. Eine kommunalpolitische Brandmauer zur AfD per Vorstandsbeschluß ist damit vom Tisch. Eine bittere Niederlage. Insbesondere weil der Harrer-Antrag noch vor der Abstimmung seinen Weg in die Schweriner Volkszeitung gefunden hatte. „Die Brandmauer nach rechts soll jetzt auch Zähne bekommen“, zitierte ihn das Blatt. Sollte da etwa medialer Druck aufgebaut werden? Viele FDP-Mitglieder sind empört. Und zwar so nachhaltig, daß sie zum Landesparteitag der FDP im November einen Abwahlantrag gegen den Lindner-Angestellten einbringen.
Der Antrag liegt der jungen freiheit vor. Darin heißt es: „Der FDP-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern beschließt auf Grundlage des Paragraph 14 Abs. 4 der Satzung des FDP-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern die Abwahl von Moritz Harrer als stellvertretenden Landesvorsitzenden der FDP M-V.“ Die Begründung solle mündlich erfolgen. Muß sie allerdings gar nicht.
Mitgliederbefragung zum Ausstieg aus der Ampel?
Die Wut über Harrer ist nämlich so groß, daß eine Mehrheit fast sicher ist. Um eine drohende öffentliche Demontage zu verhindern, tritt Harrer zurück. Bereits zuvor fällt er bei der Wahl der Delegierten für den EU-Parteitag der Liberalen durch. 33 Stimmen von 110 Stimmen. Der Wink mit dem Zaunpfahl ist deutlich. Es wäre auch eine öffentliche Niederlage seines Chefs, der ja bereits dazu aufrief, im Notfall lieber die Linkspartei zu wählen als die AfD. Doch Harrers innerparteiliche Gegner lassen nicht locker. Eine Mail an alle Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion wird verfaßt. Darin wird den Abgeordneten der gesamte Fall geschildert. Auch die Behauptung, Harrer selbst habe „interne Dokumente einer Landesvorstandssitzung an die Presse durchgestochen“ . Die Mail, die der jungen freiheit vorliegt, endet mit den Worten: „Man möchte meinen, daß sowohl Außenwirkung als auch Vertrauenswürdigkeit für Mitarbeiter von Abgeordneten des Hohen Hauses von besonderer Relevanz ist.“ Der Abgeordnete hier heißt Christian Lindner und ist Parteichef.
Dem wiederum droht noch weiteres Ungemach: die Rebellion der Parteibasis gegen den Verbleib der Liberalen in der Ampel-Koalition. Der von Mitgliedern eingebrachte „Weckruf Freiheit!“ (JF 45/23), den auch die FDP-Landtagsabgeordnete Sandy van Baal aus Mecklenburg-Vorpommern unterzeichnete, soll in der vergangenen Woche schon mehr als 150 Unterstützer gefunden haben. 500 wären für eine offizielle Mitgliederbefragung notwendig. Die Unterstützungsunterschriften, die der Kreisvorsitzende der FDP Kassel-Stadt, Matthias Nölke, sammelt, müssen per Post versandt werden, daher verzögert sich das Ganze noch. Parallel läuft eine Mail-Aktion an sämtliche Kreisvorstände. In den Antworten an die Initiatoren würden sich viele Mitglieder für die Aktion bedanken. FDP-Vize Wolfgang Kubicki ging im Gespräch mit der Zeit bereits davon aus, daß das Quorum erreicht wird.