Das Staatsversagen in der Migrationspolitik hat zu Verwerfungen bei den Ampelkoalitionären und zu einer hektischen Suche nach Lösungen geführt. Patentrezepte sind nicht in Sicht, wohl aber die Wahltermine im kommenden Jahr. Die Grünen wurden in die politische Defensive gedrängt, verlieren in diesem Jahr nach dem Berliner Senat nun auch in Hessen die Macht.
Es war ein Paukenschlag, als Hessens Ministerpräsident Boris Rhein Koalitionsverhandlungen mit der SPD und damit das Ende der zehnjährigen Zusammenarbeit der CDU mit den Grünen ankündigte. Ein Blick in das Eckpunktepapier von CDU und SPD verrät den geplanten Kurswechsel. „Wir bekennen uns zur Begrenzung der Migration und dem Schutz der europäischen und deutschen Außengrenzen, u.a. mit stationären Grenzkontrollen“, heißt es dort. „Wir starten eine echte Rückführungsoffensive. Wir werden Ausreiseverpflichtungen konsequent durchsetzen und alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten ausschöpfen (u.a. Ausweitung Abschiebehaft, Wohnungsbetretungsrecht, Einrichtung von Rückführungszentren). Eine Zuweisung von Flüchtlingen in die Kommunen soll nur bei Bleibeperspektive erfolgen“. Schnell hatte die SPD unter ihrer gescheiterten Spitzenkandidatin Nancy Faeser Positionen geräumt, um nach über 20 Jahren wieder am Kabinettstisch zu sitzen.
Stattdessen – zumindest in den Ankündigungen – klare Kante gegen illegale Zuwanderung, die die Grünen, selbst die Realos in Hessen, wohl nicht ziehen wollten, ungeachtet des Schwenks in der öffentlichen Meinung zu einer verschärften Migrationspolitik. Das Eckpunktepapier von Wiesbaden, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, liest sich wie eine Blaupause der Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit dem Kanzler. Schnellere Bearbeitung von Asylverfahren, Leistungskürzungen, Bezahlkarte statt Bargeld, Prüfung von Asylverfahren außerhalb Europas, Kommission zur Steuerung der Migration sind die Stichworte, vorgetragen von Hessens altem und neuem Regierungschef Rhein, derzeit zugleich MPK-Vorsitzender. Kein Zweifel, der CDU-Aufsteiger hat derzeit einen Lauf, fühlt sich stark, forderte gleich noch Neuwahlen im Bund.
Auf die Maßnahmen hatten sich die 16 Länderchefs, also auch jene mit Unions-Parteibuch, geeinigt. Dies bleibe weit hinter den Vorschlägen der Union zurück, rügte Fraktionschef Friedrich Merz. Der Oppositionsführer im Bundestag verlangte, die Ampel solle die vom Kabinett bereits beschlossene Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zurückziehen. Mit Blick auf Umzüge von Kalifats-Anhängern sei eine leichtere Einbürgerung das falsche Signal, wenn sich Ausländer bereits nach fünf Jahren, in Einzelfällen sogar nach drei Jahren, für den deutschen Paß bewerben könnten. Bislang beträgt die Frist im Regelfall acht Jahre. Mehrstaatigkeit soll künftig generell hingenommen werden.
Stattdessen präsentiert die Union einen eigenen Gesetzentwurf, der an diesem Freitag vom Bundestag debattiert werden soll. Gefordert wird ein aktives Israel-Bekenntnis vor jeder Einbürgerung. Daß der Kabinettsentwurf der Ampel eine Einbürgerung bereits bei „antisemitisch, rassistisch oder sonstigen menschenverachtend motivierten Handlungen“ ausschließt, reicht der Union offenbar nicht. Außerdem soll der Straftatbestand des Landfriedensbruchs so ausgestaltet werden, daß auch die Beteiligung an einer feindseligen Menschenmenge unter Strafe gestellt wird. Des weiteren soll Antisemitismus als besonders schwerer Fall der Volksverhetzung im Strafgesetzbuch eingestuft werden.
Die Unionsfraktion fordert zudem, daß Personen mit einer deutschen und einer weiteren Staatsangehörigkeit den deutschen Paß verlieren können, wenn „im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Verurteilung antisemitische Einstellungen festgestellt werden“. Harte Maßnahmen, die aber nur in Extremfällen greifen. Die Staatsbürgerschaft kann nur Doppelstaatlern entzogen werden. Das ergibt sich aus dem Grundgesetz. Angela Merkels „Flüchtlingsmädchen“ Reem Sahwil, das 2015 bei einem Bürgerdialog mit der damaligen Kanzlerin aus Angst vor Abschiebung in Tränen ausgebrochen war, teilt mittlerweile antisemitische Vernichtungsaufrufe im Internet, die in Deutschland verboten sind. 2022 war die Palästinenserin eingebürgert worden. Ihr müßte bewiesen werden, daß sie aktives Mitglied der Hamas ist – also Terroristin. Ein bloßes Gutheißen des Hamas-Terrors erfüllt die Voraussetzungen für einen Entzug der Staatsbürgerschaft nicht.
„… daß die AfD bei der Europawahl stärkste Partei wird“
Vor vier Jahren hatte der Bundestag den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft für Deutsche mit Doppelpaß ermöglicht, die sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt haben. IS-Kämpfer sollten so nicht mehr ungestört nach Deutschland einreisen können.
Die geplanten Gesetzesänderungen stoßen in der Praxis auf Kritik. Viele Richter haben noch die Klagen von Asylanten aus dem Jahr 2016 auf dem Schreibtisch. Der Personalmangel an den Gerichten steht raschen Asylverfahren und Abschiebungen entgegen. „Wer massive Verfahrensbeschleunigungen verspricht, muß auch in die Justiz investieren, wenn er keine falschen Erwartungen wecken will“, mahnt der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn. Im Oktober war die Zahl neuer Asylbewerber mit knapp 32.000 auf den höchsten Stand seit 2016. „Wenn das Migrationsthema nicht gelöst wird, werden wir bei der Europawahl im kommenden Jahr sehen, daß die AfD stärkste Partei wird“, warnt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.