Es ist ein kleiner Krimi und ein leidiges Hin und Her gleichermaßen. Mitte Juli beendete der RBB von sich aus die etwa ein Jahr zuvor eingeleitete Compliance-Untersuchung der Kanzlei Lutz/Abel rund um den Skandal der geschaßten Ex-Intendantin Patricia Schlesinger. Und das, obwohl von sieben vorgenommenen Themengebieten lediglich zwei „weitgehend ausermittelt“ waren. Begründung: Die Analysen hätten zwar „wichtige Erkenntnisse“ ergeben, könnten jedoch aufgrund „paralleler Untersuchungen von Landesrechnungshöfen, Staatsanwaltschaft und interner Revision“ sowie „enormer Kosten“ in Höhe von mehr als 1,6 Millionen Euro nicht fortgesetzt werden.
Die erkenntnisreichen Zwischenergebnisse möchte die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt allerdings nicht herausrücken, verweigert entgegen eigener Ankündigungen und Besserungsversprechen die vollständige Aufklärung. Dagegen klagt der RBB-Untersuchungsausschuß des Brandenburger Landtags – und erhält zunächst recht: Die Unterlagen müssen übergeben werden, sonst droht eine Beschlagnahme. Doch dann setzt das Potsdamer Landgericht plötzlich die eigene Anordnung aus und das Oberlandesgericht muß nun entscheiden. Der RBB argumentiert, als Selbstverwaltungsorganisation seien mehrere Vorgänge wie arbeitsgerichtliche Verfahren noch nicht abgehakt. „Der Untersuchungsausschuß kann erst nach Abschluß dieses Verfahrens zum Zuge kommen. Hier geht es auch um die Staatsferne und unsere Unabhängigkeit“, sagt die RBB-Justitiarin Kerstin Skiba.
Die selbst gelobten Ergebnisse einer teuren Anwaltskanzlei zu strukturellen Mißständen sollen der Öffentlichkeit und damit den Beitragszahlern also verborgen bleiben. Kritik an dieser mangelnden Transparenz weist Skiba zurück und betont die bereits erfüllten Auskunftsbegehren gegenüber dem Ausschuß – unter anderem die Aufarbeitung von über 2.000 Abrechnungsbelegen der ehemaligen RBB-Geschäftsleitung. „Im aktuellen Fall werden aber nach unserer Einschätzung Rechte berührt, deren Einhaltung für den RBB elementar sind und die auch nach der Krise des RBB weiter gelten müssen“, so Skiba.
Doch die Rechnung der ÖRR-Verantwortlichen geht nicht auf. Der Business Insider, der bereits im Fall Schlesinger für Enthüllungen sorgte, veröffentlichte Teile des 51seitigen internen Compliance-„Sachstandsberichts“. Demnach habe Lutz/Abel „mehr als zwei Dutzend“ mutmaßliche Pflichtverletzungen und Rechtsverstöße durch Patricia Schlesinger und der restlichen RBB-Führung festgestellt. Darunter sind Abendessen in der Privatwohnung auf Senderkosten, Mitarbeitervertragsabschlüsse ohne Beteiligung des Verwaltungsrats und die Marketingkampagne „Bloß nicht langweilen“ aus dem Jahr 2017, die „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ rechtswidrig sei, da Schlesingers Wunschwerbeagentur GUD in Berlin 2,8 Millionen Euro erhalten haben soll, ohne daß der Auftrag ausgeschrieben worden sei. Ein Vorgehen, das auch bei der Renovierung der RBB-Chefetage auffällig sei und eine bewußte Taktik vermuten läßt: So seien die Renovierungsarbeiten in viele kleinere Aufträge unterteilt worden, um Ausschreibung und Verwaltungsrat umgehen zu können. Auch mehreren ehemaligen Mitarbeitern seien am Verwaltungsrat vorbei Ruhegelder und Honorare bewilligt worden, obwohl diese ihnen nicht zustanden. Der dickste Fisch dürfte aber das „Digitale Medienhaus“ sein, dessen Neubau mittlerweile gestoppt wurde. Hier bestünden „Anhaltspunkte für Rechtsverstöße“ bis hin zum Korruptionsverdacht, da die Aufträge nicht korrekt ausgeschrieben worden seien. Schlesinger habe zudem gezielt die Errichtung eines kontrollierenden „Compliance-Management-Systems“ verhindert.
Besonders pikant: Lutz/Abel stellte laut Business Insider zahlreiche „Erkenntnislücken“ fest, die sich eigentlich durch weitere Aktensichtungen und Befragungen schließen lassen sollten. Dazu kam es jedoch nicht, weil der RBB im Sommer die Kooperation mit der Kanzlei nach einem ersten Zwischenstand aufkündigte.
Auch im Zusammenhang mit dem Leak des Berichts verweist die Hauptstadtanstalt auf „laufende Untersuchungen“. Man prüfe „das Dokument in Hinblick auf seine inhaltliche Belastbarkeit“, teilte der RBB gegenüber der FAZ mit, und „dahingehend, welche Folgerungen wir auch aus diesem bruchstückhaften Ergebnis für uns in den arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen die alte Geschäftsleitung ziehen können. Dazu werden wir uns allerdings nicht öffentlich äußern.“
Dämpfer beim Sparkurs und Kritik an der neuen Intendantin
In der Tat streitet der RBB momentan mit der fristlos gekündigten Schlesinger um eine Rückzahlung von rund 270.000 Euro, „im wesentlichen die Rückforderung variabler Vergütungen für mehrere Jahre“. Dazu sammeln Senderanwälte laut Business Insider auf einer internen Liste zusätzliche Pflichtverletzungen: Verstöße gegen die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, vermeintlich dienstlich abgerechnete Privatreisen, nicht gemeldete Schäden beim Dienstwagen.
Die im Raum stehenden Vorwürfe sind für den Sender dabei so wichtig, da er sie für geeignet hält, „den Wegfall beziehungsweise Widerruf der vertraglichen Ruhegeldzusage und in ihrer Gesamtheit möglicherweise auch den Widerruf etwaiger Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung von Frau Schlesinger zu rechtfertigen“. Bekommt der RBB recht, könnte Schlesinger auf ihre Rente in Höhe von 220.000 Euro pro Jahr verzichten müssen. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen die 62jährige, ihren Ehemann Gerhard Spörl, den früheren Vorsitzenden des RBB-Verwaltungsrats Wolf-Dieter Wolf und zwei weitere Ex-Mitglieder der Sendergeschäftsleitung zudem wegen des Verdachts der Untreue und Verschwendung. Die Rechtsstreitigkeiten um die Offenlegung des Kanzleiberichts laufen parallel zu einer Debatte, die ebenfalls Zweifel aufkommen läßt, wie ernst es der RBB mit seinem angekündigten Neuanfang meint.
So läuft der Sender gegen den von den Landesregierungen Berlin und Brandenburg vergangenen Freitag verabschiedeten neuen Staatsvertrag Sturm. Dieser will – nicht zuletzt als Lehre aus den Skandalen – neben mehr Lokalberichterstattung bessere Kontrollmechanismen, ein funktionierendes Compliance-System sowie mehr Mitsprache für die Rechnungshöfe der Bundesländer installieren. Doch der Rundfunkrat lehnt die Vorhaben als verfassungswidrige Eingriffe in Programmfreiheit, Unabhängigkeit und das Selbstverwaltungsrecht vehement ab. Selbst eine Klage ist nicht ausgeschlossen.
Der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland zweifelt in einem für den Sender erstellten Gutachten an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs. Er bemängelt insbesondere eine angebliche politische Einflußnahme sowie die vorgesehene verschärfte Haftung für Führungskräfte. Diese sei unverhältnismäßig: So müsse Neu-Intendantin Ulrike Demmer bei nur „leicht fahrlässig“ verursachten Nachteilen für die Rundfunkanstalt selbst aufkommen und bis zu 30 Prozent ihrer Grundvergütung abgeben. Beim eigenen Geldbeutel hören Verantwortungsbereitschaft und Neustart anscheinend auf.
Darüber hinaus gibt es Dämpfer beim Sparkurs. Zwar prüft der RBB seinen kompletten Immobilienbestand auf Verkäufe – wobei auch eine Veräußerung des Stammsitzhochhauses in Berlin-Charlottenburg nicht ausgeschlossen sei –, nebenbei legte Demmer jedoch den Plan ihrer Interimsvorgängerin Katrin Vernau auf Eis, die Verwaltungsdirektion mit der Produktions- und Betriebsdirektion unter lediglich einer Person an der Spitze zu fusionieren. Stattdessen wolle Demmer laut Süddeutscher Zeitung die Verwaltungsdirektion neu besetzen – mit eigenen Vertrauten?
Demmer steht im eigenen Haus massiv in der Kritik. In einem von Personalrat und Freienvertretung in Auftrag gegebenen Gutachten zu ihrer Wahl fordert der Medienrechtler Marcus Schladebach eine Neuwahl, da das Abstimmungsverfahren „zahlreiche formale und inhaltliche Fehler“ aufweise und es der früheren Vize-Regierungssprecherin unter Angela Merkel an Qualifikation und Staatsferne fehle. Demmer selbst widerspricht im Zeit-Interview den Vorwürfen und betont ihre journalistische Karriere bei NDR, ZDF und Spiegel. Sie warnt vor „zuviel politischer Einflußnahme“ und davor, daß der ÖRR in mehreren Ländern Europas „unter Druck“ gerate und „systematisch“ dikreditiert werde – obwohl zumindest ihr Programm „großen Zuspruch“ und „Vertrauen“ beim Publikum genieße.
Auch dieser Konflikt wird weiter schwelen: der RBB-Rundfunkrat hatte Ende September die Einsetzung einer Kommission zur Aufarbeitung der Wahl angekündigt. Ob diese Aufarbeitung schneller und konstruktiver über die Bühne geht?