© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/23 / 10. November 2023

Filmkritik Das Kriminalgericht
Schauprozeß nach Attentat
Werner Olles

Die Tele Universal Hamburg produzierte 1964 die erfolgreiche semi-dokumentarische, vierteilige Fernsehserie „Das Kriminalgericht“. Die Drehbücher stammten von Answald Krüger und Maria Matray („Der Fall Krantz“), Günther Wolf und Peter Ernst („Der Fall Calmette“) und Helmut Andics („Der Fall Nebe“). Regie führte in allen vier Teilen Georg Tressler. 

„Der Fall Krantz“ schildert den als „Steglitzer Schülertragödie“ bekannt gewordenen Tod von zwei Jugendlichen, deren Ermordung Paul Krantz (Reinhold Nietschmann) zur Last gelegt wurde. Der 1928 vor dem Berliner Kriminalgericht Moabit stattgefundende Prozeß brachte dem zu Unrecht Angeklagten acht Monate Untersuchungshaft ein. Erst später kam das Gericht zu dem Ergebnis, daß einer der Schüler zuerst seinen Freund und dann sich selbst getötet hatte. 

In „Der Fall Calmette“ mußten sich der Arzt Dr. Georg Deycke (Hans Fitze) und der Chef des Lübecker Gesundheitsamtes, Ernst Altstaedt (Wolf von Gersum), vor der großen Strafkammer des Landgerichts verantworten. Deycke hatte mit der Genehmigung von Altstaedt ohne Testverfahren und Sicherheitskontrollen 256 Neugeborene gegen Tuberkulose geimpft. 131 der behandelten Kinder erkrankten und 77 Babys starben bei den Versuchen.

Der Zweiteiler „Der Fall Nebe“ ist der interessanteste Fall der Reihe. Am 2. März 1945 verurteilte der Volksgerichtshof den SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei Arthur Nebe (Günther Neutze) wegen Hochverrats zum Tode. Tags darauf wurde das Urteil vollstreckt. Nach dem mißglückten Stauffenberg-Attentat auf Hitler stand Nebe im Verdacht, Kontakte zum Militärischen Widerstand gegen die NS-Führung zu haben. Zeitzeugen wie Hans Bernd Gisevius und Fabian von Schlabrendorff bestätigten nach Kriegsende, daß Nebe dem Widerstand Informationen lieferte und wichtige Reichsminister festnehmen sollte, doch gilt seine Rolle als Widerstandskämpfer heute als „umstritten“, obwohl auch Henning von Tresckow, 1941 im Stab der Heeresgruppe Mitte, ihn damals als „entschlossenen Gegner des NS-Regimes“ bezeichnete. Der 49jährige Nebe war nach dem gescheiterten Attentat untergetaucht, wurde aber von einer ehemaligen Geliebten verraten. Als Belastungszeuge bei dem Schauprozeß trat unter anderem Gestapochef Heinrich Müller (Ekkehard Fritsch) auf.

DVD: Das Kriminalgericht. Pidax Serien-Klassiker 2023, Laufzeit etwa  296 Minuten