Die letzte statistisch zuverlässige Angabe zur weltweiten Verbreitung der Werke Karl Mays (1842–1912) weist für 2013 eine Gesamtauflage von 80 Millionen Bänden aus. Angesichts derart beeindruckender Leserresonanz läßt sich für Thomas Vormbaum verschmerzen, daß die May-Lektüre in der jüngeren Generation zurückgeht (Journal für Juristische Zeitgeschichte, 2/2023), während die Bad Segeberger Karl-May-Festspiele Rekordbesuche melden und die „grüne Reihe“ des Bamberger Karl-May-Verlages, in der die Werke des „Winnetou“-Erfinders aus Sicht des emeritierten Strafrechtlers Vormbaum in „nicht immer, aber mitunter doch durchaus geglückter Weise ‘geglättet’ worden sind“, expandiert und dem 100. Band zustrebt. Auch arbeite die Karl-May-Gesellschaft, eine der rührigsten literarischen Gesellschaften im deutschen Sprachraum, ungebrochen an der wissenschaftlichen Erforschung von Leben und Werk ihres Namenspatrons, der zumindest mit seinen späten symbolischen Romanen mittlerweile zur Hochliteratur gehört. Mit der in den 1960ern von Arno Schmidt und Hans Wollschläger angeregten, auf 99 Bände angelegten „Historisch-Kritischen Ausgabe“ betreut die Gesellschaft überdies eines der derzeit ehrgeizigsten literaturhistorischen Editionsprojekte. Da treffe es sich gut, wenn die jüngste Biographie des Wiener Rechtshistorikers Wilhelm Brauneder (JF 49/22) den Bestseller-Produzenten endlich vom Stigma des Hochstaplers befreit, das ihm schon zu Lebzeiten anhaftete. Denn Karl May bediente nie die „Old-Shatterhand-Legende“, die den Eindruck erweckte, die in seinen „Reiserzählungen“ geschilderten Abenteuer habe er selbst erlebt.