© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/23 / 10. November 2023

Ende des Bullerbü-Traums
Schweden: Auch die neue Rechtsregierung tut sich mit den Bandenkriegen schwer
Felix Hagen

Schweden ist längst nicht mehr das Bullerbü-Land mit einer intakten sozialen Struktur. Seit den Neunzigern werden die Städte von zunehmend brutalen Zusammenstößen zwischen Banden aus Migranten erschüttert. Während Dänemark vergleichsweise hart durchgreift, entfaltete sich im deutlich liberaleren Schweden ein grausames Panorama aus Tausenden jungen Männern und zunehmend auch Frauen mit Migrationshintergrund, die mit Schußwaffen und Handgranaten ihre Territorialstreitigkeiten austragen. 

Im September erreichte die Welle einen vorläufigen Höhepunkt, Zwölf Todesopfer forderten die diversen Zusammenstöße, darunter ein Achtzehnjähriger, der auf einer öffentlichen Sportanlage erschossen wurde – vor den Augen einer ebenfalls anwesenden Gruppe an Schulkindern. Neben einer zunehmenden Beteiligung von Frauen und Mädchen geraten auch Kinder in den Fokus der Banden. Bereits Zwölf- und Dreizehnjährige sollen für Auftragsmorde rekrutiert werden, die Ermittlungsbehörden sprechen von mindestens 1.700 Kindern und Jugendlichen, die in die kriminellen Netzwerke eingebunden sind. Auch die Gesamtzahl der Gangmitglieder ist groß – über 30.000 organisierte Kriminelle in einem Land mit gerade mal zehn Millionen Einwohnern. Hilfe leisten soll nun das Militär, die Polizei ist überfordert. 

Es ist fraglich, ob Schweden noch rechtzeitig umzusteuern vermag

Nun steht dem Land eine neue Eskalation bevor. Am Mittwoch nachmittag wird das Urteil in einem Bandenprozeß verkündet, in dem über 24 Personen nach einer Großrazzia der Polizei in Sundsvall im Januar dieses Jahres angeklagt sind. Ein 21jähriger gilt als Anführer der Clique. Kurz vor seiner Festnahme posierte er mit Sturmgewehr und ließ eine Sprachnachricht mit einem Aufruf zur Gewalt unter seinen Anhängern verbreiten. Im Zentrum der Auseinandersetzungen soll die Kontrolle über den Drogenhandel im Land stehen. In letzter Zeit erreicht die Gewalt auch den ländlichen Raum. Opfer werden auf offener Straße regelrecht hingerichtet. Bereits 2021 starben in Schweden so viele Menschen durch Waffeneinsatz wie im deutlich größeren Deutschland. Ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren noch verschärft hat. Die Aufklärungsquote ist gering. Nur einer von fünf Morden wird aufgeklärt – Zeugen leben in Angst und verweigern die Aussage. 

Nachdem jahrelang das sozialdemokratisch regierte Land mit sozialen Maßnahmen versuchte, der Gewalt Herr zu werden, setzt die neue konservative Regierung zunehmend auf Härte. Premier Ulf Kristersson sieht die Hauptverantwortung in einer „fehlgeschlagenen Einwanderungs- und Integrationspolitik“ seiner Vorgänger. Die hat zwar Kristerssons eigene Partei lange in diversen Koalitionen mitgetragen, doch diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Selbst die als äußerst liberal geltende Polizeichefin von Stockholm, Carin Götblad, bezeichnete die bisherige Vorgehensweise gegen kriminelle Migranten als „naiv“ und forderte wenigstens kurzfristig „mehr repressive Machtmittel“. 

Zunehmend bestürzt erfahren nun viele Schweden in immer neuen Sondersendungen des Fernsehens, daß die als erweiterte Familienbünde organisierten Drogenbanden neben Geldwäsche auch das betrügerische Ausnutzen von Sozialleistungen systematisch betrieben. Fast wie ein Konzernchef soll der in die Türkei geflüchtete Rawa Majid das Drogennetzwerk „Foxtrot“ gelenkt und im Stil eines Al Capone Morde an regionaler Konkurrenz und Aufmüpfigen im eigenen Lager in Auftrag gegeben haben – zuletzt an der Mutter eines Konkurrenten. 

Ob das Land in der Lage sein wird, rechtzeitig umzusteuern, ist fraglich. In der schwedischen Gesellschaft ist der gesellschaftliche Liberalismus tief verwurzelt, daran ändert auch die zunehmende politische Bedeutung der Schwedendemokraten wenig. Die sind zwar Teil der Regierung und können sich über steigende Umfragewerte freuen, bleiben ansonsten aber relativ unauffällig in der Debatte. Einige Parteimitglieder zeigen sich darüber enttäuscht. Statt einer Debatte über Kriminalitätsbekämpfung müsse endlich eine Debatte über massenhafte Remigration geführt werden, so ein Mitarbeiter eines EU-Abgeordneten zur JUNGEN FREIHEIT. Denn die  illegale Migration sei „Kern der Bandenkriminalität“. Wer die nicht angehe, der „habe den Kampf schon verloren“.