Die Tat hat ihren Anfang auf einem Klo. Ein Sticker klebt dort auf der Innenseite einer Toilettentür im Kulturwissenschaftlichen Zentrum (KWZ) der Universität Göttingen. „Terfs raus aus der Uni!“ steht in dicken weißen Lettern auf schwarzem Hintergrund. Das Akronym steht für die englischen Worte Trans-Exclusionary Radical Feminism und soll zum Ausdruck bringen, daß die so Bezeichneten transgeschlechtliche Personen diskriminieren.
Wer damit konkret gemeint ist, steht gleich daneben. Die Namen von fünf Studentinnen sind aufgelistet, sie werden auf dem Sticker als „Kollaborateur*Innen“ bezeichnet. Versehen mit dem Logo der Antifaschistischen Aktion. Kurios: Bei den Studentinnen, deren Namen der JUNGEN FREIHEIT bekannt sind, handelt es sich einerseits um Personen aus dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Andererseits sind auch zwei Frauen aus dem linken Spektrum dabei, die die Antifa an den öffentlichen Pranger stellt.
Es ist ein weiterer Fall von Drohung, Einschüchterung und Diskriminierung an der traditionsreichen Universität, der von den Verantwortlichen zumeist mit Schweigen, Ignorieren, Verklärung und Beschwichtigung beantwortet wird. Zwei Monate zuvor waren in der Stadt zwei Verbindungsstudenten krankenhausreif geschlagen worden. Häuser von Studentenverbindungen werden nahezu täglich mit Farbe beschmiert, davor geparkte Autos gar von Linksextremisten in Brand gesetzt.
Die diffamierenden Aufkleber hatte eine Putzfrau entdeckt, berichten Studenten aus dem Umfeld des RCDS, der zunächst scharf gegen die Diffamierungen protestierte. Der Sticker sei „weiträumig“ an der Uni verteilt worden, die Aufforderung darauf komme „einer Erklärung als vogelfrei für linksextreme Kräfte“ gleich. „Diese Anschuldigung ist haltlos und inakzeptabel“, stellt die christdemokratische Hochschulorganisation klar. „Es ist nicht nur feige, sondern widerspricht auch allen wissenschaftlichen und universitären Prinzipien, Menschen anonym an den Pranger zu stellen“, betont der niedersächsische RCDS-Landeschef Felix Büning. Eine „derartige üble Nachrede“ dürfe von der Universität nicht geduldet werden.
Für zusätzlichen Unmut hatte die Veröffentlichung des Aufklebers in den sozialen Medien gesorgt. Der Grund: „Die Vornamen waren nicht unkenntlich gemacht worden, in einem Fall auch nicht der Nachname. Dadurch können Rückschlüsse auf die Identität der Betroffenen gezogen werden“, beklagen einige aus dem Umfeld der Opfer. „Einige der jungen Frauen haben totale Angst, wollen keine Aufmerksamkeit“, sagen Göttinger CDU- und RCDS-Mitglieder der jungen freiheit. Zumindest ein betroffenes RCDS-Mitglied habe damit hingegen kein Problem.
Niemand kommt, niemand hilft dem Opfer
Vor Ort berichten konservative oder liberale Studenten immer wieder von einem „Klima der Angst“, das sie an der Universität verspüren. Auch K. kennt diese Angst nur zu gut. Vor zwei Monaten wurde er von drei schwarz gekleideten, vermummten Personen auf offener Straße angegriffen und niedergeschlagen. Die Täter traten auf den 25jährigen Verbindungsstudenten ein, sprühten ihm aus nächster Nähe Pfefferspray ins Gesicht.
K. erinnert sich nur zu gut an die entsetzlichen Schmerzen, die ihm seine Peiniger zufügten. „Es fühlte sich an, als würde mein Gesicht auf einem glühend heißen Grillrost liegen“, beschreibt er den Vorfall, der sich einen Tag vor dem „Christopher Street Day“ in Göttingen ereignet hatte.
Zur gleichen Zeit war auch ein weiterer Korporierter niedergeschlagen worden. Das Opfer erlitt eine starke Platzwunde am Kopf, mußte ins Krankenhaus. „Er leidet noch heute unter Angstzuständen, ist total eingeschüchtert“, erzählt K. „Ich hatte Panik, meine Augen brannten wie verrückt. Ich fürchtete schon, die Täter hätten mir irgendeine Säure ins Gesicht geschüttet.“
Auslöser dafür: das obligatorische Band, das Verbindungsstudenten tragen. Ein Symbol, das vor allem Linksradikalen ein Dorn im Auge ist. „Wer in Göttingen mit Band durch die Stadt läuft, lebt mit der Gefahr, angegriffen zu werden“, sagt K., der sich davon jedoch nicht einschüchtern lassen will. „In einer Demokratie muß so etwas möglich sein, ohne Repressalien ausgesetzt zu sein.“
Das Gesetz gibt ihm recht. Doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. In einer Art Dreiecksformation hätten ihn die Täter nahe der Kreuzung Herzberger Landstraße/Friedländer Weg angegriffen. Der erste habe ihm in Kampfsport-Manier einen kräftigen Tritt in den Rücken verpaßt, von dem K. zu Boden ging. „Dann kamen die anderen, traten zu, sprühten mir Pfefferspray ins Gesicht.“
Er zeigt auf die Straße. In die Richtung, in die die Täter flüchteten. „Alles war so schnell gegangen, das Ganze wirkte äußerst eingeübt.“ Fast blind vor sich hin taumelnd sucht K. damals Hilfe, klingelt bei einem benachbarten Haus. Ein älterer Mann öffnet. Verängstigt vom Anblick läßt er das Opfer vor der Tür stehen. „Ich kann es verstehen, ich muß schlimm ausgesehen haben“, meint der junge Student. Er taumelt zurück zur Straße. Ein junges Paar hält, dreht vorsichtig die Autoscheibe runter, blickt ihn skeptisch an. Erst später hält ein Pizza-Kurierfahrer, ruft einen Rettungswagen.
Im Krankenhaus angekommen, macht K. seine nächste bittere Erfahrung. „Ich wurde einfach stehen gelassen, niemand war bereit, mich zu versorgen.“ In ihm nährt sich ein schlimmer Verdacht. „Die Ärzte hatten ja den Bericht der Rettungshelfer vorliegen, wußten, daß ich Verbindungsstudent war.“ Zweifel kommen in ihm auf. War das der Grund für den herablassenden Umgang der Ärzte ihm gegenüber? Er wartet. Doch niemand kommt, niemand hilft. Schließlich ergreift er selbst die Initiative, spült sich die Augen und verläßt so gut es geht das städtische Krankenhaus.
Bereits vor sieben Jahren hatten die Übergriffe Linksextremer auf Studentenverbindungen und deren Mitglieder in Göttingen ein solches Ausmaß erreicht, daß die Polizei eine eigene Ermittlungsgruppe zur Aufklärung der „steigenden Anzahl von Straftaten gegen studentische Verbindungen“ eingerichtet hat.
Bittere Erfahrungen müssen auch die fünf an den Pranger gestellten Studentinnen machen. Denn die Universitätsleitung schweigt zu dem Vorfall. Die örtliche Presse rückt die Opfer ins Zwielicht, indem sie von einem „angeblichen Sticker“ spricht, den der Journalist eines „rechtspopulistischen“ Mediums verbreitet habe. Und die Polizei forderte die Betroffenen auf, den Vorfall besser nicht in den sozialen Medien zu verbreiten.
Der RCDS hatte auch die CDU gebeten, zu dem Vorfall Stellung zu beziehen. Vergeblich. Sowohl der Göttinger CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Fritz Güntzler als auch die CDU-Stadtverbandsvorsitzende und parlamentarische Geschäftsführerin der niedersächsischen CDU-Landtagsfraktion Carina Hermann schweigen. Zu beiden Vorfällen.
Wer aber sind die Täter? Die JF sprach inkognito mit Studenten aus der linken Szene, schaute sich an der Uni um. Auf den Toiletten entsprechen die politischen Schmierereien den Erwartungen: Ein Bild von einem brennenden Polizeiwagen. Über der Klopapierrolle steht mit schwarzem Eddingstift „Waffen für die PKK“. Auf einer Tür ist der Spruch „Burschis in die Eier latschen“ ebenso hingeschmiert wie das Wort „Bullenschweine.“ Auch der Aufkleber „Antifa-Area“ klebt dort. Die Terfs-Sticker hingegen wurden entfernt.
Unabhängig voneinander erzählen RCDS- wie auch linke Studenten von einem Streit innerhalb der linken Szene. Die Gründung einer palästinafreundlichen „Basisgruppe Kulturwissenschaften“ soll dabei ebenso eine Rolle gespielt haben wie auch die Beziehung, die eines der Opfer, das der linken Szene angehöre, mit dem mutmaßlichen Täter gehabt haben soll. Als die in die Brüche ging, habe der Täter mit dem Aufkleber eine Art Rache-Aktion gestartet. Es soll sich beim Urheber um eine „Transperson“ namens Emily G. handeln, die noch bis vor kurzem als Finanzbeauftragter der Grünen Jugend Göttingen fungierte und auch als Gender-Referent des AStA der Uni tätig gewesen ist.