Bundestagsabgeordnete sind laut Grundgesetz von Weisungen unabhängig und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Dies führt zu einer rechtlichen Sonderstellung. Während Beamte bei Delikten wie Vorteilsnahme und Bestechlichkeit die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, ist eine Bestrafung von korrupten Abgeordneten nur eingeschränkt möglich, da die entsprechende Vorschrift eine Strafbarkeit von Mandatsträgern nur dann vorsieht, wenn die Handlungen bei der „Wahrnehmung“ des Mandates erfolgen. Wegen der zu unbestimmten Formulierung wird diese Vorschrift auch als Gummiparagraph bezeichnet. Trotz mehrerer Verschärfungen der Norm kam es bei diversen Affären der letzten Jahre zu keinerlei Verurteilungen.
Erinnert sei nur an die „Aserbaidschan-Affäre“, als aktive und ehemalige Abgeordnete in dubiose Geschäfte mit Aserbaidschan verwickelt gewesen sein sollen. Oder an die Maskenaffäre während der Corona-Zeit, als der CSU-Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein und der bayerische Landtagsabgeordneter Alfred Sauter (CSU) hohe Provisionen für die Vermittlung von Maskenlieferungen erhielten.
Nüßlein und Sauter gingen selbst vor dem Bundesgerichtshof straflos aus, denn das Gericht stellte fest, daß das Strafgesetzbuch sich auf die Mandats-
tätigkeit als solche beschränke, nämlich das Wirken im Parlament, den sonstigen parlamentarischen Gremien einschließlich der Fraktionen und der von Abgeordneten besetzten Kommissionen. Zugleich forderte das Gericht jedoch den Gesetzgeber auf, den entsprechenden Paragraphen nachzuschärfen, denn es sei ähnlich strafwürdig, wenn Abgeordnete auch ohne Auftrag des Parlaments Behördenentscheidungen zu beeinflussen versuchten. Die Ampelkoalition versprach Besserungen, änderte aber bisher nichts.
Jetzt könnte doch etwas passieren, und zwar ganz schnell. Die EU-Kommission bereitet eine neue Richtlinie zur Korruptionsbekämpfung vor, in der eine volle Gleichstellung von Amts- und Mandatsträgern vorgesehen ist. Da Richtlinien der EU unverzüglich und vollständig in nationales Recht umgesetzt werden müssen, wäre es mit dem für Abgeordnete angenehmen Gummiparagraphen vorbei. Außerdem dürfte die Verordnung zu einem Verbot direkter Geldzahlungen an Abgeordnete führen, was besonders für Wahlkreisinhaber und Wahlkreisbewerber ein Nachteil wäre, da sie für ihre Wahlkämpfe auf direkte Spenden angewiesen sind.
In Brüssel steht Justizminister Marco Buschmann (FDP) mit seinem Widerstand gegen die neue Richtlinie ziemlich alleine da. Er wandte sich daher inzwischen an die Bundestagsfraktionen, die für kommende Woche eine Anhörung von Experten im Rechtsausschuß ansetzten. Die Fachleute sollen Maßnahmen nennen, wie der Gummiparagraph noch zu retten wäre. Der Justizminister wendet sich gegen die Änderung, denn eine „undifferenzierte Gleichstellung“ von Amtsträgern und Abgeordneten findet er unangemessen. Vermieden werden soll auch, daß Abgeordnete in den Verdacht der Bestechung geraten können, wenn sie Zuwendungen für sich selbst oder ihre Partei entgegennehmen.