Seit ihrem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren hat die Ampelkoalition das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) konsequent zu einem tonangebenden Geheimdienst ausgebaut, der selbst zum politischen Akteur geworden ist; im Sinne seiner obersten Dienstherrin Innenministerin Nancy Faeser. Dieser Eindruck hat sich zu Wochenbeginn während der Anhörung des Bundestagsinnenausschusses über die Reform der Nachrichtendienste bestätigt. Die Pläne der SPD-Politikerin gehen selbst einigen Koalitionsabgeordneten zu weit.
Scheinbar harmlos sollen „Übermittlungsregelungen im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) an die aktuellen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepaßt werden“, wie es im besten Bürokratendeutsch des Faeser-Ministeriums heißt. Bei den „aktuellen Vorgaben“ des höchsten deutschen Gerichts geht es um die Frage, unter welchen eng gefaßten Bedingungen der Verfassungsschutz geheime Informationen an die Polizei weitergeben darf. Denn nach geltender Rechtslage wird durch die Datenweitergabe teilweise „das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ verletzt, wie es in dem Beschluß aus Karlsruhe heißt. Das Übermittlungssystem muß also neu geregelt werden. So weit, so gut.
Dieses Gesetz werde „in Karlsruhe keinen Bestand haben“
Doch Faesers Gesetzesentwurf sieht vielmehr eine massive Ausweitung der Befugnisse des Verfassungsschutzes vor. BfV-Mitarbeiter sollen etwa Vermieter oder Vereinstrainer vor Verfassungsfeinden warnen dürfen, vorausgesetzt diese Information dient der „Deradikalisierung“ des potentiellen Verfassungsfeindes. Verräterisch ist bereits der Vergleich der Paragraphen-Überschriften. In der aktuell gültigen Fassung wird die „Übermittlung von Informationen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz an Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes“ geregelt. Künftig soll es heißen: „Übermittlung an inländische Stellen zum administrativen Rechtsgüterschutz“. Bereits nach geltendem Recht dürfen Angaben des BfV nur dann an Privatpersonen weitergegeben werden, wenn eine Genehmigung des Innenministeriums vorliegt und soweit dies nötig ist „zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“.
Doch geprägt vom „Kampf gegen Rechts“, den Faeser bei Amtsantritt vor knapp zwei Jahren als ihr wichtigstes Ziel bezeichnet hatte, soll das Kölner Amt offenbar zu einer „Anschwärzbehörde“ umfunktioniert werden. Geleitetet von Präsident Thomas Haldenwang (CDU), der zu seinen Amtsaufgaben auch die tagesaktuelle Kommentierung von AfD-Bundesparteitagen zählt.
In der Anhörung fiel auf, daß nicht nur der von der AfD benannte Sachverständige, der Staatsrechtslehrer Ulrich Vosgerau, kein gutes Haar an dem Koalitionsentwurf ließ. Im Sitzungssaal des Paul-Löbe-Hauses wurde Faesers Entwurf verrissen, verpackt in juristischen Formulierungen. „Die Nachrichtendienste können dann Schulleiter über die Bestrebungen ihrer Schüler, Universitäten über die ihrer Studenten, Arbeitgeber über ihre Beschäftigten etc. informieren, auch wenn von ihnen keinerlei konkrete Gefahr ausgeht“, warnte etwa der Freiburger Rechtswissenschaftler Ralf Poscher. Man könne sich leicht vorstellen, was entsprechende „Gefährderansprachen“ oder noch weitergehende Maßnahmen für die Karrieren der Betroffenen bedeuten könnten.
Poschers Münsteraner Kollege Benjamin Rusteberg sprach von einem „unangemessenen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht“, der evident verfassungswidrig sei. Mark Zöller, Sicherheitsrechtler an der Universität München, gab sich überzeugt, bleibe der Gesetzesentwurf unverändert, „werde er in Karlsruhe keinen Bestand haben“. Vosgerau fühlte sich an Zersetzungsmaßnahmen in der DDR erinnert. Die Gegenposition markierte Sinan Selen, gewissermaßen kraft Amtes. Der BfV-Vizepräsident gab zu bedenken, die Kritik an seiner Behörde wäre berechtigt, würde diese ihre Erkenntnisse „etwa zu Waffenbesitz von Reichsbürgern, Immobilienerwerbern für rechtsextreme Zentren oder zu salafistischen Spendensammlern nicht teilen oder auf Grund gesetzlicher Vorgaben nicht teilen können“. Teilnehmer der Anhörung gewannen den Eindruck, der Ampel gehe es weniger um die Vorgaben des Gerichts als um eine Ausweitung der Befugnisse des BfV.
Die breite Ablehnung der Experten kam nicht allzu überraschend, da zuvor auch Innenpolitiker der Koalition und Opposition ihre Bedenken geäußert hatten. Die FDP besann sich auf ihre Bürgerrechtstradition. Wolfgang Kubicki nannte den Entwurf „aus rechtsstaatlichen Gründen völlig inakzeptabel“, Fraktionskollege Konstantin Kuhle verwies auf das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei. Danach sind Geheimdienste beschränkt auf Aufklärung und Beobachtung. Einschränkungen der Datentrennung sind nur ausnahmsweise zulässig, so das höchste deutsche Gericht.
Eine „Übergriffigkeit des Staates“ rügte der AfD-Innenpolitiker Martin Hess. Der frühere Polizeihauptkommissar war zu Beginn der Wahlperiode von seiner Fraktion als Vorsitzender des Innenausschusses nominiert, von den übrigen Fraktionen aber mittels eines Geschäftsordnungstricks abgelehnt worden. So fügte es sich, daß die ehemalige DDR-Jugendpionierleiterin Petra Pau (Linke) die Anhörung leitete. In deren Verlauf ließ der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz erkennen, daß zentrale Regelungen des Gesetzentwurfs „juristisch so schlicht nicht haltbar seien“. Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) hält es in „gravierenden Einzelfällen“ für sinnvoll, daß „private Stellen informiert werden dürfen, etwa wenn ein Extremist Waffen oder Sprengstoff kaufen will“.
Das Gericht hatte dem Bundestag im April 2022 eine Frist bis zum Jahresende 2023 gesetzt. Parallel zu dem Entwurf über den Inlandsdienst hat Faeser noch eine Vorlage zur Reform des Auslandsdienstes BND mit ähnlicher Problematik eingebracht. Manches spricht dafür, daß die für eilbedürftig erklärten Gesetzentwürfe noch erheblich verändert werden. „Unsere Hand bleibt ausgestreckt“, gab sich SPD-Obmann Sebastian Hartmann durchaus einsichtig.