Diese Bilder werden in keinem Jahresrückblick fehlen: Mehrere Männer erklimmen den monumentalen Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus in Berlin und strecken unter dem Jubel Tausender Demonstranten palästinensische Fahnen in die Luft. Die von manchen Beobachtern als Geste der Eroberung interpretierte Szene steht symbolisch für die Proteste und Demonstrationen von Palästinensern und ihren Unterstützern, die seit Beginn der israelischen Militäroffensive nach den Terroranschlägen der Hamas in zahlreichen deutschen Städten stattfinden.
In Berlin zogen am Samstag bis zu 9.000 Demonstranten vom Neptunbrunnen über die Straßen Unter den Linden und Friedrichstraße bis zum Potsdamer Platz. Am Tag zuvor waren rund 3.000 Menschen durch Essen gezogen und hatten teilweise auf Plakaten und mit Sprechchören die Errichtung eines islamischen Kalifats in Deutschland gefordert. Vor allem diese Demonstration in Essen sorgte durch ihre islamistische Ausrichtung unter Politikern und Sicherheitsbehörden für Entsetzen.
„Verbote dieser Aufmärsche in ganz Deutschland ermöglichen“
„Am Freitag waren auf Essens Straßen Menschen unterwegs, die radikal islamistisches Gedankengut verbreiten und ein streng religiöses Reich errichten wollen. Solche unfaßbaren Szenen haben wir in Nordrhein-Westfalen zum ersten Mal erlebt“, zog Düsseldorfs Innenminister Herbert Reul (CDU) Bilanz und kündigte eine Reaktion der Landesregierung an. Polizei, Staats- und Verfassungsschutz würden auf Hochtouren arbeiten, um Bild- und Tonmaterial der Essener Demo zu prüfen und zu bewerten. „Alles, was ansatzweise strafrechtlich relevant sein könnte, legen wir der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vor. Dazu haben wir auch Islamwissenschaftler der Polizei hinzugezogen. Der Staatsschutz in Essen hat nach dem Anfangsverdacht einer Volksverhetzung bereits eine Strafanzeige gestellt“, verdeutlichte Reul. Er kündigte an, daß das Versammlungsrecht des Landes „noch einmal genau unter die Lupe“ genommen werde. Zudem wolle man „den Bund auffordern, Verbote weiterer hier relevanter islamistischer Vereinigungen zu prüfen“.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte unter dem Eindruck der propalästinensischen Demonstrationen eine deutliche Reaktion. „Diese Aufzüge durch deutsche Städte darf es so nicht mehr geben“, sagte GdP-Chef Jochen Kopelke dem Deutschlandfunk. „Alle Versammlungsbehörden müssen restriktiver sein und mehr Auflagen erlassen.“ Kleinere, stationäre Kundgebungen seien für die Polizei beherrschbarer. Derartige Auflagen würden das Versammlungsrecht schützen. „Dann gibt es das, was die Menschen wollen, nämlich ihr Recht auf Meinungsäußerung, auf Versammlungsfreiheit zu nutzen, aber nicht diese widerlichen Straftaten und Skandalisierungen von Antisemitismus“, sagte Kopelke.
Der stellvertretende innenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Hess, brachte ein Verbot von offensichtlich islamistischen und antisemitischen Demonstrationen ins Spiel. „Um die Bevölkerung und die Einsatzkräfte zu schützen, müssen diese vermeintlichen Pro-Palästina-Demos grundsätzlich verboten werden. Da die Gesetzgebungskompetenz nun aber bei den Ländern liegt, muß das Versammlungsrecht gegebenenfalls entsprechend angepaßt werden, um Verbote dieser Aufmärsche in ganz Deutschland zu ermöglichen“, forderte Hess. Diese Verbote müßten dann aber auch konsequent durchgesetzt werden, notfalls mit Zwangsmitteleinsatz. „Unsere Meinungsfreiheit darf nicht länger von islamistischen Staatsfeinden für ihre Umsturzpläne instrumentalisiert werden“, sagte der AfD-Politiker, der die Demonstrationen in Berlin und Essen als Resultat einer langen Reihe von migrationspolitischen Fehlentscheidungen der Regierung wertet.
Neben den propalästinensischen Demonstrationen ist angesichts der islamistischen Aufladung der Protestzüge auch der ausländische Einfluß auf Moscheegemeinden in Deutschland in den Blick geraten. „Es geht nicht mehr, daß die größte Zahl der Moscheen aus dem Ausland finanziert wird und Imame Staatsangestellte der Türkei sind. Wir brauchen deutsche Moscheegemeinden, nicht türkische“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Jens Spahn, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Selbst mit deutschem Steuergeld einzuspringen wäre besser, auch wenn dafür möglicherweise eine Verfassungsänderung nötig ist.“
Auch innerhalb der Ampel ist der Einfluß der türkischen Regierung auf den Islamverband Ditib immer mehr Politikern ein Dorn im Auge. Da sich Ditib nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel zum wiederholten Mal nicht klar und eindeutig positioniert habe, „kann es ein ‘Weiter so’ in der Zusammenarbeit einfach nicht geben“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Lamya Kaddor, den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Auch die religionspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sandra Bubendorfer-Licht, forderte Konsequenzen: „Wir erwarten eine klare und unmißverständliche Positionierung und Kommunikation der Ditib nach innen sowie nach außen, daß jegliche antisemitische Tendenzen oder Äußerungen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, nicht geduldet werden.“