Afrika. Howard French, langjähriger Journalist der New York Times und 1990 ihr erster afroamerikanischer Korrespondent, will dem Beitrag Afrikas in der eurozentrierten Welterzählung der neuzeitlichen Entwicklung einen neuen, mithin sogar zentralen Platz zuweisen. Dabei läuft seine durchaus interessante Darstellung der Geschichte des Schwarzen Kontinents und dem durch Sklaverei bedingten Bevölkerungstransfer nach Amerika auf die zentrale Rolle des atlantischen Dreieckshandels nach 1600 als die alles entscheidende Wertschöpfung für die europäischen Kolonialmächte hinaus. Seine Interpretation, die darin sogar den Antrieb von Aufklärung und Innovationskraft auf dem alten Kontinent entlarven will, ergo daß „Afrika fast alles, was uns heute vertraut ist, erst möglich gemacht hat“, ist mehr als abenteuerlich. Frenchs Analyse erscheint somit als der durchsichtige Versuch, im Sinne einer Critical Whiteness nicht nur eine moralische Schuld kolonialer Sünden, sondern auch noch die Ableitung einer auf allen Gebieten abzutragenden historischen Hypothek an Afrika zu konstruieren. In diese Richtung seien denn auch „notwendigerweise die Schulbücher und Universitätslehrpläne umzuschreiben“, fordert der Autor. Bezeichnenderweise blendet Frenchs Beschreibung früherer Reiche in Mali, Ghana oder dem Sudan, deren rares Zeugnis auf mittelalterlicher arabischer oder frühneuzeitlicher europäischer Überlieferung beruht, die bereits damals gängige Praxis von Ausbeutung und Sklaverei in Afrika weitestgehend aus. (bä)
Howard French: Afrika und die Entstehung der modernen Welt. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023, gebunden, 512 Seiten, 35 Euro
Lippendienste. Nachdem der geschmeidige Gustav Seibt in den 1990ern die Redaktionen von FAZ, Berliner Zeitung und Zeit durchlaufen hatte, schloß er 2001 als Kulturjournalist mit der Süddeutschen Zeitung einen Bund fürs Leben. Wer immer ihm empfahl, doch etwas aus seiner Tagesproduktion fast eines Vierteljahrhunderts auszuwählen und zwischen zwei Buchdeckel pressen zu lassen, muß ihn von Herzen hassen. Denn ein wahrer Freund hätte wohl abgeraten davon, sich mit dieser geballten Ladung serviler Lippendienste, die Seibt als sein „liberales Glaubensbekenntnis“ präsentiert, kompakt zur Kenntlichkeit zu entstellen. Wer heute Künstliche Intelligenz beauftragen würde, mal rasch Texte zu „Trump, Brexit, Klimakrise, Massenmigration und deren Folgen (‘eingewanderte Europäer’), Demokratien auf der Kippe in Osteuropa, Rußlands Überfall auf die Ukraine“ auszuspucken, bekäme ziemlich exakt geliefert, was Seibt hier als seine „verbalisierte Zeitgenossenschaft“ anpreist. (wm)
Gustav Seibt: In außerordentlichen Zeiten. Politische Essays. C. H. Beck Verlag, München 2023, gebunden, 256 Seiten, 26 Euro