© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/23 / 03. November 2023

Dorn im Auge
Christian Dorn

Radioaktivität – zum 100jährigen Jubiläum des Radios sendet der Mitteldeutsche Rundfunk in seinem Trailer neben Takten des melancholisch pulsierenden Queen-Klassikers „Radio Ga Ga“ von 1984 zwei seltsam artikulierte Sätze, die so bedrohlich klingen, als entstammten sie dem „Krieg der Sterne“ oder einem anderen Science-fiction-Klassiker: „Warum kamt ihr zu uns? Wer gab euch das Recht dazu?“ Als ich Dr. Google frage, bin ich perplex: Tatsächlich verbirgt sich dahinter kein Alien, sondern eine Zeitreise in das Jahr 1968, als sich – nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen – der tschechische Rundfunk in deutscher Sprache an die vermeintlich einmarschierten DDR-Soldaten richtete, die dann aber doch nicht in die CSSR einmarschiert waren. Mit anderen Worten: Only Fake News are good News – was gegenwärtig, da angeführt vom Weltwirtschaftsforum, ein medienübergreifendes Phänomen ist und  nicht mehr wirklich überrascht. Zwischen Ich und Über-Ich zwitschert es mir plötzlich zu: „Musk stay / X-Ray!“

Abergläubische Radiohörer nahmen an, die Invasion der Marsianer sei bereits im Gange.

Vor 85 Jahren, am 30. Oktober 1938, sorgte in den USA Orson Welles in seiner Radioshow „Mercury Theatre on the Air“ mit dem Hörspiel „Krieg der Welten“ nach dem Roman von H. G. Wells (1898) für Furore, weil es derart realistisch inszeniert war, daß die abergläubischen Radiohörer annahmen, die Invasion der Marsianer sei bereits im Gange, begleitet von einer Massenpanik in den Straßen. Eher ruhig war das Straßenbild in London, wo – laut der Plattenhülle des Queen-Albums „The Works“ (1984), das ich aus dem Westen hatte – in der Kensington Road 46 das Bandbüro zu finden sein sollte. Im Sommer 1991 klingelte ich dort so erwartungsvoll wie vergeblich, um Freddie Mercury und Queen meine Reverenz zu erweisen – zweifellos war ich aus der Zeit gefallen.


Inzwischen, so höre ich im Kontrafunk, verdoppele sich die Geschwindigkeit alle zwanzig Jahre. Dennoch scheint – selbst bei einem uneinholbar dynamischen Song wie „Don’t stop me know“ – die Live-Darbietung durch die Queen-Cover-Band „Queen Alive“ im Halberstädter Theater um Lichtjahre zurück hinter der Aufnahme des damaligen Amiga-Albums mit den besten Queen-Songs Anfang der Achtziger. Meiner Mutter, die seinerzeit im Theater gearbeitet hatte, hatte es ein Arbeitskollege geschenkt, der sich – an dem alle 14 Tage angesetzten Termin für den Verkauf von Lizenzplatten aus dem Westen – während der Arbeitszeit extra angestellt hatte. Ein Freund, der jetzt in Texas wohnt, erzählte mir, wie er 1986 in München Queen erlebte, gleich zwei Abende hintereinander – das Ticket für unglaubliche 24 DM. Heute, nur für eine mittelmäßige Coverband, sind es über 60 Euro. Das entspricht einer Inflation von knapp 500 Prozent – und das für einen bloßen Fake. Ernüchtert flüchte ich in der Pause. Im Netz teilt mir Dr. Google mit, Freddie Mercury habe John Lennon „geschlagen“ – tatsächlich ist es ein Bericht über die Auktion bei Sotheby’s von Freddie Mercurys Flügel, der 200.000 Dollar mehr erlöst habe als das Klavier, auf dem „Imagine“ entstand.