© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/23 / 03. November 2023

Hinwendung zum Kreuz
Spurensuche: Ermittlungen zur theologischen Zeitenwende im Werk Ernst Jüngers
Oliver Busch

Von Armin Mohler stammt das auf Ernst Jünger gemünzte böse Wort vom „Gärtner-Konservatismus“. Es fiel im Zuge einer Auseinandersetzung über dessen erste, zwischen 1960 und 1965 erschienene Werk-ausgabe. Für die hatte der Autor einige seiner Arbeiten über den Ersten Weltkrieg wie „Der Kampf als inneres Erlebnis“(1922) und Texte, die zu seiner nationalrevolutionären Publizistik zählen wie „Die totale Mobilmachung“ (1930), gravierend verändert – zum „besseren Gebrauch für die Demokratie“, wie Mohler ätzte. Jünger nahm diese Kritik zum Anlaß, mit seinem einstigen Privatsekretär für Jahrzehnte zu brechen. 

Für Mohler ging es in diesem Streit um weit mehr als um Jüngers Recht, mit seinem geistigen Eigentum nach Belieben verfahren zu dürfen und seine „Bearbeitungsmanie“ auszutoben. Fürchtete er doch, jenen martialischen Jünger des Frühwerks durch solche Anpassungen an den Zeitgeist der bundesrepublikanischen „Okkupationsdemokratie“ zu verlieren, der sein Idol war und den er zum Übervater seines an die „Konservative Revolution“ der 1920er angelehnten Projekts der Wiederbelebung einer radikalen deutschen Rechten auserkoren hatte.

Was seit 1960 in Jüngers „Revisionen“ zutage trat, hatte Carl Schmitt bereits anhand erster Nachkriegspublikationen bemerkt: Nicht mehr als politischer Schriftsteller sei Jünger aus der Inneren Emigration zurückgekehrt, sondern als Privatier und Metaphysiker, der seine Interessen auf den metapolitischen Raum, auf vermeintlich zeitlose Wirklichkeiten und „ewige Werte“ verlagert habe. Ein Befund, den der aus der Geschichte in die Posthistoire emigrierte „Waldgänger“ und Käfer sammelnde „Gärtner-Konservative“ während des Mohler-Konflikts freimütig bestätigte: Er sei vom Wesen her kein politischer Mensch, könne als Konservativer daher auch keinen Standort in der Tagespolitik beziehen, sondern orientiere sich an transzendenten und überzeitlichen Größen. An zeitlosen Mächten, denen er in der Natur, im Mythos, in Kunst und Literatur nahe sei.

Rückzug in biedermeierliche Reservate des Unpolitischen

Auch Ernst Jünger ergab sich damit dem „grandiosen Irrtum der politikfremden deutschbürgerlichen Geistigkeit, sich die Politik nichts angehen lassen zu müssen“ und zu glauben, als „unpolitischer Kulturmensch“ existieren zu können (Kurt Sontheimer, 1961). Dieser fatale Rückzug in biedermeierliche Reservate des Unpolitischen ist in der Jünger-Forschung zwar oft und allzu oft sogar sympathisierend behandelt worden, am gründlichsten, aber mit der gebotenen kritischen Distanz von Daniel Morat in seiner Martin Heidegger und Friedrich Georg Jünger einbeziehenden Monographie, deren Ergebnis ihr Titel sentenziös verdichtet: „Von der Tat zur Gelassenheit“ (Göttingen 2007). Aber was Morat und andere Interpreten des „mittleren“ Jünger nur am Rande als weiteren Notausgang ins Überzeitliche beachten, das ist die christliche Religion.

Diese Forschungslücke versucht der 2019 mit einer Untersuchung über „Paläontologie und Vorgeschichte bei Ernst Jünger“ habilitierte Literaturwissenschaftler Norman Kasper (Uni Halle-Wittenberg) mit seiner Studie über die „theologische Emigration“ des erst kurz vor einem Tod im Februar 1998 zum Katholizismus konvertierten „Jahrhundertautors“ zu schließen (Weimarer Beiträge, 2/2023). Kasper wertet dafür einschlägige, im Labyrinth des Marbacher Nachlasses verwahrte Briefwechsel aus und rekonstruiert die Rezeption des „christlichen Jünger“ zwischen 1934 und 1952. Den Einsatzpunkt für die Hinwendung zu Theologie und Christentum markierte Jünger selbst mit der Unterteilung seiner Werkbiographie in das „Alte Testament“, das mit dem „Arbeiter“ 1932 ende, und das „Neue Testament“, das die Essaysammlung „Blätter und Steine“, die zweite Fassung von „Das abenteuerliche Herz“ (1938) und die mit theologischen Postulaten gespickte Programmschrift  „Der Friede“ (1944/45) umfaßt. Der „Arbeiter“ habe daher gar nicht, wie Jünger es 1947 erwog, um einen dritten, theologischen Teil erweitert und zugleich entpolitisiert werden müssen, um seinen Verfasser um 1950, zur Hochzeit der im Kalten Krieg florierenden „Abendland“-Ideologie, neben konfessionell ausgewiesenen Schriftstellerkollegen wie Werner Bergengruen und Gertrud von le Fort „am nachdrücklichsten und öffentlichkeitswirksamsten im Einzugsgebiet der christlichen Weltanschauung zu verorten“.

Die ideologische Substanz

der Kirche anzapfen

Was Kasper hier großzügig übersieht, ist die Tatsache, daß der sich eine theologische Wende wünschende, sich im Pariser Tagebuch („Strahlungen“, 1949) als eifriger Bibel-Leser inszenierende und dementsprechend mit dem Christentum identifizierte Autor sich während des ganzen Untersuchungszeitraums nie als Christ verstand. Er glaubte allerdings, die ideologische Substanz katholischer und evangelischer Kirche im Kampf gegen das „Schreckgespenst des europäischen Nihilismus“ anzapfen und sie zudem als „Ordnungsfaktoren“ nicht entbehren zu können.

Als dessen Exponent galt Jünger, der Verfechter eines im „Arbeiter“ propagierten „heroischen“, im Kern nihilistischen „Realismus“, in christlichen Intellektuellenkreisen noch in den späten dreißiger Jahren. Abgesehen von der mit der nationalsozialistischen Machtergreifung erlittenen ultimativen politischen Niederlage der nationalrevolutionären Zirkel um Jünger und Ernst Niekisch, die nicht zuletzt der realitätsfernen Phantastik ihrer Weltverbesserungsrezepte geschuldet war, ist es für Kasper die am „Arbeiter“ und am davon geistig kontaminierten Großessay „Über den Schmerz“ (1934) geübte Kritik von katholischer Seite gewesen, die bei Jünger einen Prozeß des Umdenkens fort von der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ (Georg Lukács) der nihilistischen Moderne, hin zur Wiederverwurzelung des menschlichen Daseins im „Absoluten“ auslöste.

Zu Jüngers Schmerz-Deutung brachte die Zeitschrift Hochland 1936 eine Kritik des neuerdings unter die „katholischen Wegbereiter de Nationalsozialismus“ (Kurt Flasch) gerechneten Moralphilosophen Josef Pieper, die implizit einer vernichtenden Abrechnung mit dem Menschenbild des „heroischen Realismus“ glich. Das bei Jünger mit dem Schmerz verbundende, dem Individuum abverlangte Aufgehen in der technischen Funktionalität des totalitären, selbstzweckhaften Arbeitsstaats sei mit dem Menschenbild der christlichen Ethik unvereinbar. Jünger reagierte darauf zunächst mit Hohn über die „Bagage“ der Rezensenten, schwenkte dann aber ab 1937 ein in die „Frontstellung der Theologie gegen den Nihilismus“ und damit gegen die Grundpositionen des „Arbeiters“. 

Es sei daher nur konsequent gewesen, wenn Jünger dem ständigen Drängen enthusiastischer Anhänger wie den Wiener Publizisten Meinhard Silt und Edgar Traugott nicht nachgab, den „Arbeiter“ zwecks Legitimierung einer „planetarischen“ NS-Herrschaft neu zu konzipieren. Statt auf den 1944 gefallenen Silt zu hören, wandte Jünger sich dessen Freund, dem Jesuitenpater Hubert Becher zu. Nach Stalingrad nimmt der einstige „atheistische Vergötterer des homo faber“, wie Bechers „Jünger-Monographie aus christlicher Sicht“ (1949) den inzwischen gewendeten Autor des Arbeiters nennt, unter dessen Einfluß die theologische Ausrichtung der „Friedensschrift“ vor. Und entwickelt sich, wenn schon nicht zum Katholiken im konfessionellen Sinn, zum „christlichen Humanisten“. Ein Frontwechsel, den Jünger aus Mohlers Perspektive mit dem deprimierenden Verlust an zeitdiagnostischer Aussagekraft bezahlte.