© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/23 / 03. November 2023

Weniger Wohlstand, mehr Vorschriften
Wirtschaftpolitik: Robert Habecks Industriestrategie bringt mehr Energiewende, Einwanderung und neue Subventionen
Ulrich van Suntum

Was tut man, wenn man auf ganzer Linie gescheitert ist und einem die Folgen der eigenen Politik nur so um die Ohren fliegen? Einsicht, Reue, Rücktritt? Nicht mit Robert Habeck! Stattdessen geht sein 57 Seiten starkes Papier mit dem programmatischen Titel „Industriepolitik in der Zeitenwende: Industriestandort sichern, Wohlstand erneuern, Wirtschaftssicherheit stärken“ voll in die Offensive. Nicht weniger Energiewende, Einwanderung und staatliche Einflußnahme auf Unternehmensentscheidungen werden darin gefordert, sondern im Gegenteil noch mehr davon.

Nur so könne angeblich die „Erneuerung unseres Wohlstands in Antwort auf die planetaren Grenzen“ gelingen, wie es ziemlich schwülstig in der Ausarbeitung seines Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) heißt. Das werde zwar viel Geld kosten, aber dafür könne man ja die grundgesetzliche Schuldenbremse lockern. Im Ampel-Koalitionsvertrag wurde das zwar ausgeschlossen, aber der, so der Grüne Habeck, gelte ja nur noch zwei Jahre. Offenbar rechnet er ernsthaft damit, auch danach wieder in der Regierung zu sitzen, mit welchem Kanzler unter ihm auch immer.

Immerhin, es lohnt sich tatsächlich, das BMWK-Papier zu lesen. Denn ziemlich schonungslos werden dort die massiven Probleme aufgezählt, unter denen die deutsche Wirtschaft derzeit leidet. Allerdings seien daran alle anderen schuld, nur nicht die Politik der Ampel. Daß zum Beispiel die Produktion der energieintensiven Industrie in zweieinhalb Jahren um fast 20 Prozent gesunken ist, wird allein Putin und Corona angelastet. Die im internationalen Vergleich beispiellos hohen Energiepreise seien dem zu langsamen Ausbau der erneuerbaren Energien geschuldet.

Und daß laut DIHK-Umfrage 63 Prozent der Industrieunternehmen über Fachkräftemangel klagen, liege an zu wenig Kinderbetreuung und zu geringer Einwanderung. Es werden zwar „erhebliche Defizite im Bildungsbereich“ eingeräumt. So verließen gut sechs Prozent der Schüler die Schule ohne Abschluß, und 17 Prozent der Menschen zwischen 20 und 35 Jahren hätten keinen Berufsabschluß. Aber einen Zusammenhang mit der Masseneinwanderung von Analphabeten oder der grünen Ablehnung jedes Leistungsdenkens sucht man vergeblich. Da verwundert es nicht mehr, wie Habeck der Dominanz fernöstlicher Technologie beikommen will. So kämen mehr als 80 Prozent der in Deutschland verkauften Laptops und über 90 Prozent der Photovoltaikanlagen aus China. Klar, daß er dem massive Subventionen für Chipherstellung und „zukunftsfähige“ Produktionen entgegensetzen will.

Mehr Staat und „klimagerechte“ Unternehmensentscheidungen

Nachdem auf diese Weise die grüne Märchenwelt wieder zusammengekittet wurde, liegen Habecks Lösungsvorschläge quasi auf der Hand: Mehr Ausgaben für Bildung, Energiewende und staatliche Infrastruktur und noch mehr Staatseinfluß auf möglichst richtige, das heißt „klimagerechte“ Unternehmensentscheidungen. Dazu kommt dann noch die Heruntersubventionierung von Kosten, die der Staat selbst in die Höhe getrieben hat. So sind gerade erst mit der „Respektrente“ und der Einführung des Bürgergeldes die Anreize erhöht worden, dem Arbeitsmarkt den Rücken zu kehren.

In keinem anderen Land ist zum Beispiel der Anteil ukrainischer Flüchtlinge, die arbeiten, so gering wie bei uns. Statt aber die eigenen Fehler zu korrigieren, will Habeck die Folgen jetzt mit noch mehr Geld kitten: Mehr Kurse, mehr Integrationsangebote, mehr Geld oder Steuervorteile für Rentner, damit sie trotz Respektrente möglichst doch noch weiter mitarbeiten. Gaspedal und Bremse sollen also weiter gleichzeitig getreten werden.

Ein gehöriges Maß an Chuzpe gehört auch dazu, wie Habeck einerseits weniger Bürokratie, andererseits noch viel stärkeren staatlichen Einfluß auf private Investitionsentscheidungen zu fordern. Er findet es offenbar nicht widersprüchlich, CO2-Emissionrechte für die „unverfälschten Preissignale“ zu loben, welche sie den Fimen geben, zugleich aber an der Idee eines subventionierten Industriestrompreises festzuhalten. Unvereinbarkeiten wie diese ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Papier, so daß man hier schon Absicht unterstellen muß: Die Wähler werden in dem ganzen Wust und Wortgeklingel schon nicht durchschauen, daß das eine überhaupt nicht zum anderen paßt.

Mag sein, daß Habeck politisch damit durchkommt, zumal die ihm gewogenen Medien das tunlichst nicht thematisieren. Daß aber selbst große Wirtschaftsverbände wie der BDI offenbar darauf hereinfallen, muß schon verwundern. Die ersten Reaktionen waren jedenfalls recht positiv. Das paßt allerdings in das Bild der letzten Jahre: Wo der Staat mit dem Geldbeutel klingelt, haben Logik, Skrupel oder ordnungspolitische Grundsätze offenbar auch bei studierten Ökonomen keinen Nährboden mehr.


Strategie „Industriepolitik in der Zeitenwende“:

 bmwk.de