© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/23 / 03. November 2023

Verschwendung ist Programm
EU-Haushalt: Der EU-Rechnungshof kritisiert eine auf 4,2 Prozent gestiegene Fehlerquote
Dirk Meyer

Jährlich nimmt der Europäische Rechnungshof (EuRH) die Einnahmen und Ausgaben der EU unter die Lupe und veröffentlicht das Ergebnis in seinem Jahresbericht. Genaugenommen hatten die Prüfer aktuell die Vorgänge aus zwei EU-Haushalten parallel zu begutachten: Zum einen den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021 bis 2027 als Normalhaushalt in Höhe von 1.216 Milliarden Euro, zum anderen den Corona-Wiederaufbaufonds NextGenerationEU (NGEU) mit einem Volumen von 807 Milliarden Euro als Konjunkturprogramm nach der Corona-Pandemie.

Dabei untersuchten sie, ob die Jahresrechnung den formalen Anforderungen entspricht – also die Mittelzuweisungen den Programmvorgaben genügen, die Länder die gesetzten Voraussetzungen (Meilensteine) für die Vergabe erfüllen und der tatsächliche Mittelabfluß dem Plan folgt. Hinzu kommen vergaberechtliche Prüfungen wie die Einhaltung der Ausschreibungsrichtlinien. Der Anfang Oktober vorgelegte Bericht umfaßt die Ausgaben in 2022 aus dem EU-MFR-Haushalt (196 Milliarden Euro) und dem kreditfinanzierten NGEU-Fonds (47,3 Milliarden Euro), insgesamt also 243,3 Milliarden Euro.

Mindestens 10,2 Milliarden Euro wurden 2022 „fehlgeleitet“

Bei etwa dreiviertel dieser Summe haben die EU-Mitgliedstaaten die Mittelverwaltung im Auftrag der EU übernommen, das heißt die Projektauswahl, die Verteilung der Mittel und die weitere Projektabwicklung. Der EuRH prüft nicht die Gesamtheit aller Maßnahmen, sondern beurteilt den Umfang der fehlerhaften Ausgaben auf der Basis von Stichproben. Allerdings decken diese knapp 70 Prozent aller Mittelabflüsse ab. Das abschließende Urteil fällt enttäuschend aus: Das vierte Mal in Folge ein „versagtes“ Prüfungsurteil zu den Ausgaben aus dem EU-Haushalt und ein „eingeschränktes“ Prüfungsurteil zu den NGEU-Ausgaben. So lag die Fehlerquote bei den Ausgaben des EU-Normalhaushaltes bei 4,2 Prozent und damit über der Quote von 2021 mit drei Prozent. Naturgemäß ist das Fehlerrisiko von Ausgabenarten mit anspruchsbasierten Zahlungen und einfachen Voraussetzungen sowie bei Verwaltungsausgaben (Gehälter) geringer als bei solchen, die erstattungsbasierte Zahlungen mit eher komplexen Vorschriften betreffen.

Hier sind nicht nur die Voraussetzungen besonders zu prüfen (Förderfähigkeit), sondern auch entsprechende Belege und die entstandenen erstattungsfähigen Kosten zu prüfen. Bei diesen, mit hohen Risiken verbundenen Ausgaben (geprüft 110,1 Milliarden Euro) lag die Fehlerquote bei sechs Prozent. Hinsichtlich der Fehlerarten dominierten die Einbeziehung nicht förderfähiger Kosten in Kostenaufstellungen, schwerwiegende Verstöße bei öffentlicher Auftragsvergabe, Gewährungsverfahren bei Finanzhilfen und staatlichen Beihilfen, nicht förderfähige Projekte, Tätigkeiten oder Begünstigte sowie Zahlungen, für die keine Belege vorgelegt wurden. Bei den mit einem geringen Risiko verbundenen Ausgaben (geprüft 56,7 Milliarden Euro) wird die „Wesentlichkeitsschwelle“ von zwei Prozent nicht überschritten. Hochgerechnet auf die gesamten EU-Ausgaben wurden entsprechend 10,2 Milliarden Euro fehlgeleitet.

Der EuRH schlüsselt die Angaben nach Sektoren auf, vermeidet aber länderspezifische Fehlerquoten. Trotz der erheblichen, als unrechtmäßig festgestellten Förderpraxis wurden dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) nur 14 Fälle mutmaßlichen Betrugs gemeldet, die im Zuge der Ausgabenprüfung 2021 festgestellt wurden. Interessant ist die Einschätzung der EU-Kommission, die die Gesamtfehlerquote auf nur 1,9 Prozent schätzt und damit unterhalb der „Wesentlichkeitsschwelle“ bleibt, während der EuRH 4,2 Prozent ermittelt. Möglicherweise kommt hier auch ein unterschiedliches Prüfungsinteresse zum Ausdruck.

Auftragsbedingt prüft der EuRH nur die formale Richtigkeit der Mittelvergabe, hinterfragt hingegen nicht die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der finanzierten Maßnahmen. So legt etwa das Programm „Nachhaltige Mobilität“ eine strukturelle Verschwendung von Ressourcen zum Umwelt-/Klimaschutz nahe. Die im deutschen NGEU-Fördertopf vorgesehene Absatzförderung für 560.000 Elektrofahrzeuge baut derzeit noch auf „braunem“ Strom beim Ladevorgang auf und einem CO₂-Rucksack, der bei der Batterieproduktion in China gepackt wurde. Im solarschwachen Litauen werden Photovoltaik-Anlagen im Programm „Erneuerbare Energien und Netze“ subventioniert.

Die Einsparung einer Tonne CO₂ kostet unter diesen geographischen Verhältnissen etwa 415 Euro und ist somit fünfmal so teuer wie entsprechende Einsparungen bei der Stromproduktion durch Kohle. In Italien konnten Besitzer von Häusern und Wohnungen mit dem „Superbonus 110“ ihre Kosten für Energieinvestitionen zu 110 Prozent von der Steuer absetzen (JF 32/23). Wer macht da nicht mit und profitiert noch bei steigenden Renovierungskosten? Diese Beispiele unterstützen die bereits vom EuRH ermittelten Fördermängel und heben die notwendige Kontrolle auf die politische Ebene, die fragwürdige Förderziele und vom Ansatz her unwirtschaftliche Maßnahmen formuliert.

Drohen 225 Milliarden Zinskosten für die EU-Kredite bis 2058?

Als weitere Risiken verweist der EuRH auf die stark angestiegene Verschuldung der EU, die es nach EU-Vertrag eigentlich gar nicht geben dürfte. Über Sonderbeschlüsse und Garantien der Mitgliedstaaten sind dennoch Kredite in Höhe von 344 Milliarden Euro entstanden, deren Rückzahlung ab 2028 bis 2058 vorgesehen ist. Neben den ungeklärten Tilgungsquellen stellen die NGEU-Kredite ein Zinsrisiko für den EU-Haushalt dar. Interne Papiere sprechen von möglichen Zinskosten bis 2058 von 225 Milliarden Euro. Auch führe der nicht prognostizierte Anstieg der Inflation zu einem geschätzten Kaufkraftverlust von zirka zehn Prozent, was einen Nachtragshaushalt wahrscheinlich macht.

Ein besonderes Problem beim Wiederaufbaufonds entsteht durch den Zeitdruck. Es stehen 338 Milliarden Euro als Finanzhilfen zur Verfügung, für weitere 385,8 Milliarden Euro können die Staaten über die EU durchlaufende Kredite aufnehmen (Back-to-back-Prinzip). Bislang sind nur 69,3 Prozent der möglichen Zuschüsse durch genehmigte Projekte gebunden. Bis Ende des Jahres muß aber eine vollständige Mittelbindung vorliegen.

Ebenfalls stockt der Mittelabfluß, denn bis Ende 2022 waren nur 27,7 Milliarden Euro an Zahlungen geleistet. Bis 2027 müssen alle Projekte abgeschlossen sein. Von daher sieht der EuRH den Vollzug des Corona-Konjunkturprogramms kritisch und befürchtet ein „Dezemberfieber“ bei der Projektgenehmigung und Durchführung, das die generellen Ziele der Sparsamkeit und Effizienz weiter gefährden könnte. Verschwendung ist Programm.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

 www.eca.europa.eu/de/publications/AR-2022