Rein in die S-Bahn. Ich laufe hinter einer Alten mit grauem Dutt und Gehstock zu einem allein sitzenden Mädchen. „Das ist ein Behindertenplatz“, weist die Rentnerin das Mädchen schroff zurecht. Offenbar hat sich die Dame über die Jahre ihres Lebens die Kommunikationsform des Meckerns angewöhnt.
Mit einer kurzen Geste der Entschuldigung wechselt das Mädchen zur gegenüber liegenden Sitzbank, auf der auch ich Platz nehme. Doch das reicht der Alten nicht, die fortfährt: „Manche Leute setzen sich einfach auf einen Behindertenplatz. Da sitzt ja gerade keiner. Da kann man sich halt eben mal hinsetzen. So denken die.“ Die Bahn fährt an, sie verzieht das Gesicht: „Oje. Schrecklich, wie das hier zieht.“
Das Mädchen grinst mich heimlich an und schließt die Fensterklappe. Nach drei Stationen steigt die Alte mit mir aus. Sie läuft auf dem Bahnsteig geradewegs auf einen Mann mit Rad zu, um ihn anzumeckern: „Sie stehen einem ja hier mitten im Weg.“ Der schaut verdutzt.
Vor dem Bahnhof kramt ein Penner im Abfalleimer und zeigt den Reisenden seinen blanken Hintern.
Wenige Augenblicke später schaue nicht nur ich verdutzt. Vor dem Bahnhofseingang kramt ein Penner nach Leergut im Abfallkorb. Die ausgeleierte Jogginghose ist ihm fast zu den Knien heruntergerutscht, und so streckt er einer grinsenden Mutter mit Kinderwagen und etlichen Reisenden den blanken Hintern ohne Unterhose entgegen.
Nun noch schnell in den Supermarkt. An zwei Kassen stehen lange Schlangen, eine dritte ist leer. „Ist da geöffnet?“ frage ich mich etwas laut selbst. Von hinten antwortet ein Mann mit Baseballkappe: „Das ist eine barrierefreie Kasse.“
Der nächste Mecker-Rentner, denke ich, und gifte zurück: „Ich habe nur eine Cola. Machen Sie jetzt keinen Aufstand.“ Doch er erklärt nur freundlich, daß die Kasse für Rollstuhlfahrer extra breit sei.
„Ach so, ich dachte, das wäre eine Kasse nur für Behinderte. In dem Fall hätte ich geäußert, daß ich auch versehrt bin“, sage ich zur Kassiererin. Die grinst zu dem Mann und antwortet lakonisch: „Jeder hat so seine Macke.“