© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/23 / 27. Oktober 2023

Das CO2 einfach wegzaubern
In der deutschen Klimapanik wird nun doch das Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid wieder gefördert
Jörg Fischer

Am 9. September 1964 wurde 25 Kilometer westlich von Berlin Technikgeschichte geschrieben: Der Bergingenieur Klaus Siebold, Vizechef des Volkswirtschaftsrats, eröffnete im Havelstädtchen Ketzin den ersten Untergrundgasspeicher der DDR. Doch die „neue Etappe in der Energieversorgung“ sorgte für Probleme. 1965 gab es erste Gasausbrüche und Kohlenmonoxid-Alarm im darüber liegenden Ortsteil Knoblauch. 1966 platzte ein Ventil und hinter der Dorfkneipe ergoß sich eine Fontäne aus Wasser, Gas und Sand auf die umliegenden Häuser. 1967 wurden die Dorfbewohner umgesiedelt. Alle Häuser und die Dorfkirche wurden abgerissen.

Doch der Stadt- und Erdgasspeicher in 280 Meter Tiefe wurde technisch verbessert, der Betrieb überlebte die DDR, und die Anlagen wurden noch bis ins Jahr 2000 genutzt. Vier Jahre später wurde dann unter der Ägide des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) erneut Technikgeschichte geschrieben: Im April 2004 startete das EU-Projekt „CO₂ Storage by Injection into a Natural Saline Aquifer at Ketzin“ (CO₂Sink), der erste europäische Großversuch zur CO₂-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage/CCS) im Binnenland. Am 30. Juni 2008 begann dann die erst die CO₂-Einspeisung in Ketzin.

Am 4. Mai 2011 wurde erstmals industriell abgeschiedenes CO₂ aus dem 183 Straßenkilometer entfernten 1.600-Megawatt-Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe in Ketzin verpreßt. Die dortige 2008 von Vattenfall in Betrieb genommene Oxyfuel-Anlage zur CO₂-Abscheidung funktionierte – allerdings nur bis 2014. Dann wurde das erste CCS-Projekt in der Lausitz eingestellt, das Know-how wurde nach Kanada verkauft. Das CCS-Projekt Ketzin endete 2017. Insgesamt wurden dort 67.271 Tonnen CO₂ bis zu 600 Meter tief verpreßt – das klingt gewaltig, aber für ein „klimaneutrales“ Kohlekraftwerk müßten jährlich zehn bis zwölf Millionen Tonnen CO₂ abgeschieden und verpreßt werden.

Doch das war nicht der Grund für den CCS-Ausstieg – es ging um Umweltschutz- und Sicherheitsbedenken. Denn obwohl sich die Technik seit 1964 weiterentwickelt hat, sind Bohrungsleckagen, Grundwasserverseuchung (CCS-CO₂ ist nicht hundertprozentig rein) und CO₂-Freisetzungen nicht völlig auszuschließen. Mögliche neue CCS-Versuchsstandorte bei Beeskow (30 Kilometer südwestlich von Frankfurt/Oder) und Neutrebbin (50 Kilometer östlich von Berlin) scheiterten daher am großen Widerstand. Das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KspG) von 2012 erlaubt nur eine jährliche CO₂-Gesamtspeichermenge von vier Millionen Tonnen, und Bundesländerauflagen machen CCS in Deutschland faktisch unmöglich.

Konkurrenz zwischen CCS-Projekten und Offshore-Windparks

Und für Atom-, Biogas-, Solar-, Wasserstoff- und Windkraftlobbyisten ist CCS eine gefährliche Konkurrenz – also Teufelswerk. Das Umweltbundesamt (UBA) formuliert das anläßlich der Präsentation eines Positionspapiers zur „CCS-Integration in die nationalen Klimaschutzstrategien“ ganz unverbümt: „In der Energiewirtschaft würde der Einsatz von CCS fossile Techniken verfestigen und den Ausbau der erneuerbaren Energien behindern.“ Auch in Branchen wie der Zement- und Kalkindustrie würde CCS „klimafreundlichere Alternativen“ wie mehr Holzbau, alternative Bindemittel oder Baustoffe erschweren. „Um keine negativen Effekte bei der Transformation der Energiewirtschaft, der Industrie und der Bauwirtschaft hervorzurufen, sollte die Technik dort nicht priorisiert werden.“ Nur bei Müllverbrennungsanlagen ist das UBA für Testanlagen zu gewinnen.

Und mit einem Argument hat UBA-Präsident Dirk Messner recht: In Deutschland gibt es tatsächlich zu wenig Speicher, um das ganze CO₂ „sicher für Mensch und Klima zu speichern“. Daher war Kanzler Olaf Scholz sichtlich beeindruckt, als er im August 2022 den norwegischen Ministerpräsident Jonas Gahr Støre in Oslo besuchte und sein sozialdemokratischer Gesinnungsgenosse zwar keine zusätzlichen Erdgaslieferungen zusicherte, aber CCS-Speicher anbot: in den Hohlräumen der ausgebeuteten Erdgasvorkommen 3.000 Meter unter dem Nordsee-Meeresboden. Und bisher sei auch noch kein CO₂ „wieder hochgekommen“, so Støre. Aber können die ausgebeuteten norwegischen Erdgaslagerstätten wirklich das gesamte in Europa produzierte CO₂ speichern?

Das UBA warnt: „Im marinen Bereich ist eine Konkurrenz zwischen der Speicherung von CO₂ und dem Betrieb von Offshore-Windenergieanlagen möglich.“ Zudem seinen besondere Vorkehrungen wegen der Fischerei und dem Ankern von Schiffen nötig. Bei Leckagen werde das CO₂ im Wasser gelöst, und das trage zur Versauerung des Meerwassers bei. Dieses Risiko steige „mit der eingebrachten Menge und den dadurch erzeugten Druckdifferenzen in der Speicherschicht“. Es gebe die Gefahr, daß „toxische Stoffe in der Speicherformation mobilisiert werden. Durch Änderungen des pH-Wertes und der CO₂-Konzentration im Meer können Meeresalgen, Fische und weitere Organismengruppen erheblich beeinträchtigt werden“.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist weniger ängstlich. Sie arbeitet mit dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung und den Unis Hamburg und Kiel am Geostor-Projekt mit, das CO₂-Speicher im industriellen Maßstab in den geologischen Formationen der deutschen Nordsee finden soll. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck ist 2022 auf den CCS-Zug aufgesprungen, um bis 2045 die vollständige Treibhausgas-Neutralität zu erreichen. Doch das KspG müßte dazu umfassend reformiert werden. Die dafür geplante Carbon-Management-Strategie (CMS) der Ampel steht allerdings noch aus. Vielleicht ist die EU-Kommission schneller. Sie will im ersten Quartal 2024 ihren CMS-Plan in Brüssel vorstellen – CO₂-Pipelines von den Fabriken und Kraftwerken zum Endlager inklusive.





CO2-Speicherung (Carbon Capture and Storage/CCS)

Seit der Weltklimarat (IPCC) 1990 seinen ersten Sachstandsbericht veröffentlicht hat, gilt der CO₂-Ausstoß als hauptverantwortlich für den Klimawandel. Seither wird daran gearbeitet, unvermeidliche CO₂-Emissionen irgendwie wegzuzaubern. Praktisch geht das durch CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS). Die erste großtechnische Offshore-CCS-Anlage war das Sleipner-West-Feld in der Nordsee auf halbem Wege zwischen Norwegen und Schottland. Da das dort von Statoil und Exxon geförderte Erdgas einen zu hohen CO₂-Anteil hatte, wurde es auf einer CCS-Plattform abgetrennt von 1996 bis 2018 in einem Salzreservoir unter dem Meeresboden gespeichert. Das 2018 von der britischen Öl- und Gasbehörde genehmigte Acorn-CCS-Projekt am St. Fergus-Gasterminal in Peterhead nördlich von Aberdeen soll CO₂ von Emittenten aus Südschottland aufnehmen. Ab 2030 soll es durch drei 100 Kilometer lange Offshore-Pipelines zum Endlager fließen und dann in 2,5 Kilometer Tiefe unter dem Nordsee-Meeresboden gespeichert werden. (fis)

 www.theacornproject.uk