© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/23 / 27. Oktober 2023

„Gefühlt wie Könige“
Kino: Das deutsche Alkoholiker-Drama „One for the Road“ verweigert sich rot-grünem Nebelkerzenkino
Dietmar Mehrens

Noch ein letztes Glas im Stehn“ sang 1975 die Schlagersängerin Elke Best und lieferte damit so etwas wie die Übersetzung für „One for the Road“, eine rein deutsche Produktion, die seltsamerweise trotzdem unter diesem englischen Titel in die Kinos kommt. Stehen kann Mark (Frederick Lau) schon zu Beginn des Films kaum noch: Man sieht ihn aus einer Eckkneipe torkeln und sich in einer Imbißbude noch etwas für den Heimweg besorgen. Und jedem ist sofort klar: Dieser Mann hat ein Alkoholproblem. Wie groß es ist, weiß der Zuschauer zunächst zwar noch nicht, aber damit ist er in guter Gesellschaft. Mark weiß es nämlich auch nicht.

Es kommt, wie es kommen muß: Der Betrunkene will Auto fahren und wird dabei von der Polizei erwischt – Führerschein futsch! Um den wiederzubekommen, muß Mark einen MPU-Kurs erfolgreich absolvieren. Die drei Buchstaben stehen für die Hürde, die der Gesetzgeber sich ausgedacht hat, um den Straßenverkehr vor Leuten wie Mark zu schützen, und bedeuten „medizinisch-psychologische Untersuchung“.

Hinter den Masken werden

tiefe Verletzungen sichtbar

Der beruflich als Bauleiter einer Berliner Großbaustelle erfolgreiche und bei den Kollegen allseits beliebte Mittdreißiger ist ein Musterbeispiel für den verharmlosenden Umgang mit Rauschmitteln aller Art, der in den letzten 25 Jahren – insbesondere seit dem Ende der großangelegten Kampagne „Keine Macht den Drogen“ unter der ersten rot-grünen Bundesregierung – eher zu- als abgenommen hat. Die sogenannte Party- und Eventszene, die in regelmäßigen Abständen deutsche Innenstädte terrorisiert, belegt dies eindrucksvoll. Mark exemplifiziert diese Verharmlosung durch das fadenscheinige Argument, Alkohol sei ein wesentlicher Bestandteil des kulturellen Lebens, „bei Kelten, Azteken,Wikingern war das schon so“.

Auch in diesem Film ist die alkoholisierte Spaßgesellschaft quicklebendig und tobt sich aus bei Streifzügen durch das Berliner Nachtleben, launigen Geschäftsessen, Feiern, die das ganze Wochenende dauern. Und einer immer mittendrin: Mark, der nichts merkt. Bis sein bester Freund Nadim (Burak Yiğit) ihn irgendwann mal ins Gebet nimmt und ihn auf seinen verantwortungslosen Alkoholkonsum aufmerksam macht.

Um Nadim zu beweisen, wie schief er mit seinem Verdacht liegt, wettet Mark mit ihm, daß er es schafft, so lange abstinent zu bleiben, bis er seinen Führerschein wiederbekommt. Wenn er verliert, muß Nadim nackt auf der Ringbahnlinie durch Berlin fahren, bekleidet einzig mit einem Schild, das ihn verspottet als einen, der seinem besten Freund mißtraut hat. Und weil er sich seiner Sache so sicher ist, schließt Mark mit der kecken Kursbekanntschaft Helena (Nora Tschirner) gleich noch eine Zweitwette ab. Helena hat ihm zuvor klipp und klar vorausgesagt, daß er nach zwei, drei Wochen brutal abstürzen wird. 

In dem Maße, wie das Vertrauen zwischen Mark und Helena zunimmt, fallen die Masken und die tief sitzenden Verletzungen werden sichtbar, die die beiden Süchtigen in die Sucht getrieben haben: Helenas Eltern ließen sich scheiden, als sie acht war, mit elf kamen die ersten Depressionen. Mark, der ebenfalls eine gestörte Beziehung zu seinen Eltern hat, begann schon als Jugendlicher mit der Sauferei. „Wenn wir getrunken haben“, beichtet er seiner Leidensgenossin, „dann haben wir uns gefühlt wie Könige.“ Und am nächsten Tag waren sie wieder ganz normale Jungs.

Es sind solche Dialoge, die den Film aus Dutzendware herausheben. Das kluge Drehbuch von Oliver Ziegenbalg bricht mit dem Nebelkerzenkino grüner Erfüllungsgehilfen, das die realen gesellschaftlichen Probleme hinter Schleiern mutwilliger Ignoranz verschwinden läßt, damit die rigide Transformations-agenda um so heller strahlen kann. 

Oft fordert die Gesellschaft eher einen Grund für Abstinenz als für den Griff zu Spirituosen. Ziegenbalg und sein Regisseur Markus Goller – beide arbeiteten bereits bei dem erfolgreichen Mofa-Film „25 km/h“ (2018) zusammen – weisen subtil auf diese Schieflage hin. Ihr Film verbindet Ernstes mit Heiterem. Denn natürlich sind Marks Sprüche und Eskapaden trotz des ernsten Hintergrunds durchaus amüsant. Obschon der als Achtsamkeitsguru inszenierte MPU-Kursleiter Dr. Blau (Godehard Giese) den Filmemachern ein wenig zu abgehoben geraten ist, kann man ihr Kinodrama als wunderbaren Beitrag zu einer viel zu selten geführten Debatte nur wärmstens empfehlen.