Man durfte gespannt sein, wann jemand den Deutschen die Schuld am Angriff der Hamas auf Israel geben würde – das dauerte in den etablierten Medien einen Tag – und wann jemand den Amerikanern die Schuld am Angriff der Hamas auf Israel geben würde – das dauerte immerhin drei Tage.
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„Alle Ärzte sind sich darüber einig: Viele Erwachsene müssen zum Genusse von Gemüse erst erzogen werden.“ (Plakat der Zentral-Einkaufsgesellschaft des Deutschen Reichs – Abteilung Fruchtverwertung, 1938)
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Was uns fehlt, ist ein anständiger Generationenkonflikt.
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Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt, äußerte jetzt angesichts der antisemitischen Manifestationen auf deutschen Straßen: „Wir, die sogenannte Mehrheitsgesellschaft, waren zu naiv und zu bequem, die Herausforderung der muslimischen Migration ernst zu nehmen.“ Dazu folgendes: 1. Gesellschaften als solche gibt es nicht, sie können deshalb auch nicht „naiv“ oder „bequem“ sein oder irgend etwas „ernst nehmen“; 2. Sollte Poschardt mit der „Mehrheitsgesellschaft“ diejenigen meinen, die schon länger hier leben (was ich als naheliegend betrachte), sei angemerkt, daß es in den letzten Jahrzehnten doch eine ganze Reihe deutscher Denker und Normalbürger gegeben hat, die bereit waren, nicht nur „die Herausforderung der muslimischen Migration ernst zu nehmen“, sondern vor der Gefahr einer Masseneinwanderung aus kulturfremden Räumen mit Nachdruck gewarnt haben, allerdings in der Welt immer seltener zu Wort kamen.
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Wirklich beunruhigend ist der Gang durch unsere Innenstädte, angefüllt mit Menschen, die hier kaum etwas zu suchen haben, sich aber erkennbar wie zu Hause fühlen.
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Bildungsbericht in loser Folge: Die Zahl meiner pädagogischen Vorbilder hat sich gerade verdoppelt: von eins auf zwei. Bisher galt meine Verehrung nur dem Oberlehrer Dr. Brett, dem aus Heinrich Spoerls „Feuerzangenbowle“, genauer gesagt, aus deren großartiger Verfilmung mit Heinz Rühmann. Das war der, der das Fach Geschichte vertrat, seiner Oberprima, bevor er den Unterricht begann, „Krieg oder Frieden“ anbot, jeden Streich des Hans Pfeiffer – „mit drei f“ – durchschaute und sich in einem klassischen Dialog mit dem Kollegen Studienrat Bömmel über die Grundlagen der Erziehung so treffend geäußert hat: „Junge Bäume, die wachsen wollen, muß man anbinden, daß sie schön gerade wachsen, nicht nach allen Seiten ausschlagen, und genauso ist es mit den jungen Menschen. Disziplin muß das Band sein, das sie bindet – zu schönem geraden Wachstum!“ – Nun kommt noch der Volksschullehrer Christian Steensen aus Dörte Hansens Roman „Mittagsstunde“ hinzu: der Mann, der noch wußte, daß es dumme und trotzige und kluge und eigene Kinder gibt, daß man die Leseratten vor dem ewig bäuerlich-beschränkten „Du verdirbst dir noch die Augen!“ schützen mußte und der gegen die linken „Rollkragenpädagogen“ des Kultusministeriums aktiven Widerstand leistete, indem er nicht die vorgeschriebene „Sach-“, sondern die bewährte „Heimatkunde“ unterrichtete.
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Schriftsteller müssen kein politisches Urteilsvermögen haben. Durs Grünbein also auch nicht. Aber er hat an prominenter Stelle – in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Oktober – einen seltsamen und wirren Text über die Demokratie geschrieben, dem doch widersprochen werden sollte, bevor er Wirkung entfaltet. Denn hier ist zum einen die Rede davon, daß auch „demokratisch organisierte Gesellschaften […], wie plötzliche Krisen zeigen, über Nacht zerfallen“ könnten und daß auf „den Trümmern jeder vorherigen Demokratie […] eine neue errichtet“ werde. Was den ersten Punkt betrifft, sei gesagt, daß keine Staatsform, die Eroberung durch auswärtige Macht beiseite, „über Nacht“ zu zerfallen pflegt. Das gilt auch für die Demokratie. Denn in der Regel sterben Staaten an Elitenversagen, und ob die Demokratie eine brauchbare Führungsschicht zu schaffen und zu erhalten vermag, ist seit je eine entscheidende und beunruhigende Frage, weil die Demokratie einen ausgesprochenen Hang zum Egalitarismus nährt, der das Aufkommen der Tüchtigen eher hindert denn fördert. Außerdem ist es, und damit zum zweiten Punkt, keineswegs so, daß auf „den Trümmern jeder vorherigen Demokratie […] eine neue errichtet“ wird. Ganz im Gegenteil. Wenn die Anstrengungen der modernen Demokratie versagen, die Fehler der antiken zu vermeiden, dann wird der Gang wohl eher der sein, den die klassische Staatslehre für den wahrscheinlichsten hielt: von der Demokratie als Volksherrschaft zur Ochlokratie als Herrschaft des Pöbels zur Tyrannis als Zwangsherrschaft von einem oder wenigen.
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Potztausend: „Es war ein schwerer Fehler, so viele Menschen völlig verschiedener Kulturen, Religionen und Überzeugungen hereinzulassen“ (Henry Kissinger im Interview mit Mathias Döpfner bei Welt-TV, 11. Oktober 2023)
Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 10. November in der JF-Ausgabe 46/23.