Russell Rickford ist sicherlich ein besonders extremer Fall, aber er drückt aus, was ein nicht ganz kleiner Teil der „antikolonialen“, palästinenserfreundlichen Linken auch an amerikanischen Hochschulen denkt. Eine Woche nach den terroristischen Hamas-Angriffen nahm Rickford am 15. Oktober an einer pro-palästinensischen Kundgebung teil. Der schwarze Geschichtsprofessor der Cornell-University in Ithaca, im Bundesstaat New York, ergriff dort das Mikrophon und äußerte, er sei „beglückt“.
Die Angriffe der Hamas nannte er „beglückend, berauschend und energetisierend“. Viele Palästinenser hätten nach den Hamas-Angriffen erstmals wieder frei atmen können. Wer von dieser „Herausforderung des Gewaltmonopols, der Verschiebung der Machtbalance“ durch Hamas nicht begeistert sei, der sei kein Mensch. Die Menge applaudierte und jubelte. Die Präsidentin der Ivy-League-Universität verschickte zwei Tage später eine Distanzierung. Sie nehme den Vorfall sehr ernst und prüfe ihn.
Die Hochschulleitung schwieg zunächst
Rickford, der sich für „Black Lives Matter“ einsetzt und gegen „weiße Vorherrschaft“ kämpft, ist mit seiner Haltung mitnichten allein. Die Yale-Professorin Zareena Grewal, die über Race und Migration forscht, hatte kurz nach den Hamas-Angriffen Israel als „genozidalen Siedlerstaat“ verurteilt und Palästinensern „jedes Recht auf Widerstand durch bewaffneten Kampf“ zugesprochen. Im Milieu von Black Lives Matter ist militante Israel-Gegnerschaft verbreitet.
Das Chicagoer Chapter von BLM twitterte kurz ein stilisiertes Bild eines Fallschirmspringers mit palästinensischer Flagge und der Botschaft „I stand with Palestine“ – eine unschwer erkennbare Anspielung auf Hamas-Kämpfer, die per Gleitschirm nach Israel eingedrungen waren und dann dort Massaker verübten. Die Entgleisung ist symptomatisch für extreme „Black Lives Matter“-Aktivisten. Historiker möchten sich daran erinnert fühlen, daß die linke Black Panther Party schon vor mehr als fünfzig Jahren das Bild der mit Maschinenpistole bewaffneten Leila Khaled, der PFLP-Terroristin und Flugzeugentführerin, propagandistisch für sich nutzte.
Besonders hohe Wellen hat in den USA ein Aufruf von 34 arabischen und pro-palästinensischen Studentenorganisationen von der Harvard-Universität geschlagen, die kurz nach den Hamas-Greueltaten schrieben, daß sie „das israelische Regime in vollem Umfang für alle sich entfaltenden Gewalttaten verantwortlich“ machten. Das israelische Apartheid-Regime trage „allein die Schuld“. Mit keinem Wort erwähnten sie die bestialischen Taten der Hamas, die am 7. Oktober mehr als 1.400 israelische Zivilisten ermordet, zahlreiche Frauen vergewaltigt, Kinder verstümmelt und etwa 200 Geiseln gekidnappt haben.
Angesichts ihrer Einseitigkeit des moralischen Urteils kann man die Hamas-Versteher durchaus als Terror-Sympathisanten sehen. Eigentlich ein Unding für die efeuumrankten Ivy-League-Universitäten. Die Hochschulleitung schwieg aber zunächst, was den früheren Harvard-Präsidenten und US-Finanzminister Larry Summers zu einem Wutausbruch verleitete, daß ihn das Schweigen krank mache. Harvard erscheine bestenfalls neutral oder schlimmstenfalls als Feind des jüdischen Staates. Es dauerte mehrere Tage, bis sich die Hochschulleitung zu einer klaren Distanzierung von dem Palästinenser-Pamphlet durchringen konnte.
Der Streit hat für die Hochschule hohe finanzielle Einbußen zur Folge, da sich eine Reihe schwerreicher Förderer und Großspender zurückgezogen haben. Der bekannte Hedgefonds-Milliardär Ken Griffin drohte, eine Spendenzusage in Höhe von 300 Millionen Dollar zu streichen. Der israelische Milliardär Idan Ofer, der zuvor 20 Millionen Dollar gespendet hat, trat aus dem Hochschulrat der Harvard Kennedy School of Government zurück. Die Wexner-Stiftung, die israelische Austauschstudenten fördert, schrieb an das Präsidium: „Wir sind fassungslos und erschüttert über das klägliche Versagen der Harvard-Führung, eine klare und unmißverständliche Position gegen die barbarischen Morde an unschuldigen israelischen Zivilisten durch Terroristen zu beziehen.“
Auch an der University of Pennsylvania (Penn), ebenfalls eine der acht alten Ivy-League-Elitehochschulen an der US-Ostküste, hat die ambivalente Haltung der Uni-Leitung zu hitzigem Streit geführt. Ein Großspender, der Chef des Apollo-Fonds Marc Rowan, forderte den Rücktritt der Penn-Präsidentin Elizabeth Magill, die zuvor ein antisemitisches Palästinenser-Literaturfestival gestattet hatte. Rowan schrieb, alle bisherigen Großspender sollten künftig nur noch einen Dollar geben. Schmerzhaft für die Hochschule war der Brief von Jon Huntsman, dem früheren republikanischen Gouverneur des Bundesstaates und US-Botschafter, der im Namen der Huntsman Foundation das „Schweigen“ der Universitätsleitung anprangerte. Seine frühere Universität sei nicht mehr wiederzuerkennen. Die Huntsman Foundation, die im Laufe der Jahrzehnte zig Millionen an die UPenn gegeben hat, werde „ihr Scheckbuch in der Zukunft schließen“, kündigte er an.
Intoleranz gegenüber konservativen Professoren
Für Diskussionen sorgte indes die Forderung des Hedgefonds-Milliardärs Bill Ackmann, der die Namen der Studenten hinter den pro-palästinensischen 34 Studentengruppen in Harvard wissen wollte, um zu verhindern, daß seine Firma einmal einen davon einstelle. Die Studentenorganisationen klagen nun, daß sie Mobbing und Anfeindungen ausgesetzt seien. Sie sammeln jetzt Geld für „mentale Gesundheit“.
Während die überwiegend linksliberal bis weit links (vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften) ausgerichteten US-Universitäten radikale pro-palästinensische Äußerungen mit Nachsicht behandeln, steht diese Toleranz in scharfem Kontrast zur Intoleranz, die oft genug konservative Professoren zu spüren bekommen. Die University of Pennsylvania beispielsweise versucht dieses Jahr die schon ältere konservative Juraprofessorin Amy Wax zu feuern, weil sie sich pointiert kritisch gegen die „Affirmative Action“, die Vorzugsbehandlung für Schwarze und andere Minderheiten, geäußert hat.