Die Südtiroler Landtagswahlen 2023 sind geschlagen. Die Wähler straften die regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) und ihren Koalitionspartner, die italienische Rechtspartei Lega, ab und setzten auf individuelle Charakterköpfe. Über 290.000 Bürger gaben ihre Stimmen ab, was eine Wahlbeteiligung von knapp über 70 Prozent bedeutet, und sie wählten Vertreter von zwölf verschiedenen Parteien in den Bozener Landtag – bei nur 35 Sitzen. Insgesamt läßt sich ein Rechtsrutsch erkennen – dies sowohl bei deutsch-, als auch italienischsprachigen Parteien.
Die SVP bleibt mit 34,5 Prozent und 13 Sitzen die stärkste Fraktion. Aber 2018 waren es noch 15 Sitze. Die „Lega – Uniti per l’Alto Adige“, Ableger der Partei des italienischen Vizeministerpräsidenten Matteo Salvini, rutscht auf drei Prozent und verliert so drei ihrer bislang vier Sitze. Zweitstärkste Kraft wurde das Team K mit 11,1 Prozent (4 Sitze; 2018: 6), die Süd-Tiroler Freiheit mit 10,9 Prozent (4 Sitze; 2018: 2) und die Grünen mit neun Prozent (3 Sitze wie 2018). Die nachfolgenden Plätze belegen zwei Landtagsneulinge: die Fratelli d’Italia, die „postfaschistische Partei“ von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (6,0 Prozent; 2 Sitze) und die Liste JWA – Wirth Anderlan mit 5,9 Prozent (2 Sitze). Die Freiheitlichen kommen mit 4,9 Prozent wieder auf 2 Sitze, die italienischen Sozialdemokraten (PD) mit 3,5 Prozent wieder nur auf einen Sitz. Bei „Für Südtirol mit Widmann“ und den Listen La Civica und Vita reichte es für je einen Langtagssitz.
Nun sind drei Parteien für eine Landesregierung notwendig
Einer der großen Gewinner bei den Wahlen ist die Süd-Tiroler Freiheit. Die patriotisch-sezessionistische Bewegung verdoppelte ihre Mandate. Stefan Zelger bedankte sich in einer ersten Stellungnahme für das Vertrauen der Wähler und die mehr als 30.000 Stimmen. Hinsichtlich einer Regierungsbeteiligung gibt Zelger sich gesprächsbereit, ob die inhaltlichen Schnittmengen ausreichen, läßt er jedoch offen. Die Forderung, kriminelle Ausländer abzuschieben, teilen auch Italiener, aber auch die Rückkehr Südtirols zu Österreich?
Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) sieht als Grund für das schlechte Wahlergebnis einen europäischen Trend, daß die meisten etablierten Regierungsparteien durch die durchlebten Krisen beim Wählervotum schlechte Ergebnisse erzielen. Angesichts der beiden Hauptwahlkampfthemen Migration und Sicherheit lassen sich Parallelen zu den Wahlen in Bayern, Hessen und der Schweiz erkennen. Richtet man einen Blick auf die Vorzugsstimmen, wird klar, daß gezielt bestimmte Politiker abgestraft wurden. So verlor SVP-Chef Philipp Achammer fast die Hälfte seiner 2018 erhaltenen 30.000 Vorzugsstimmen.
Das Wahlerergebnis bringt das politische System südlich des Brenners durcheinander: Konnte man bis dato eine stark ausgeprägte Konkordanzdemokratie erkennen, fällt dies nun deutlich schwerer. Vom Südtiroler Bauernbund, über den Hoteliers- und Gastwirteverband bis hin zum Landesverband der Handwerker, allesamt mußten sie Abstriche bei „ihren“ Kandidaten hinnehmen. Welche langfristigen Folgen das hat, ist ungewiß. Ein weiterer Punkt, welcher die Südtiroler Politik künftig beschäftigen wird, ist die geringere Anzahl von nur noch fünf Vertretern der italienischen Volksgruppe im Südtiroler Landtag. Dabei stellt diese Volksgruppe rund 30 Prozent der Bevölkerung, was auf eine geringere Anteilnahme an dieser Wahl schließen läßt.
Diese Frage ist insbesondere für die neue Landesregierung von Bedeutung, da vom Südtiroler Autonomiestatut vorgeschrieben ist, daß immer ein gewisser Anteil an italienischsprachigen Landesräten vorhanden sein muß. Landeshauptmann Kompatscher betonte im Hinblick auf die Zusammensetzung dennoch, daß es Sondierungsgespräche mit allen im Landtag vertretenen Parteien geben wird. Wie erfolgreich diese werden und welche Präferenzen die SVP bei der Zusammensetzung der Exekutive hat, ließ er indes offen. Klar ist, daß die bis dato immer mit einer italienischen Partei koalierende SVP zukünftig eine dritte Partei als Koalitionspartner braucht. Auch wenn die Richtung dahingehend noch offen ist, ist eines klar: Die Südtiroler Politik hat sich nach dieser Wahl vom 22. Oktober enorm verändert, und die nächsten fünf Jahre Landespolitik werden spannend zu beobachten sein.
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