© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/23 / 27. Oktober 2023

Ein moralisches Recht auf Spaltung
„Bündnis Sahra Wagenknecht“: Die angekündigte Parteineugründung bricht der Bundestagsfraktion der Linken das Genick
Jörg Kürschner

Mildes Herbstwetter liegt über dem Berliner Regierungsviertel, das sich während zweier plenarfreier Wochen scheinbar unaufgeregt auf die nächste Sitzungsperiode vorbereitet. Doch die Ruhe ist trügerisch. „Wir sind vorbereitet“, sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Die Parteigründerin Sahra Wagenknecht ist am Start. Die bevorstehende Spaltung der Linksfraktion wird den Parlaments-alltag gehörig durcheinanderrütteln. Ab Anfang November geht es im Bundestag nicht nur um die übliche Gesetzesberatung, sondern auch um handfeste Machtinteressen der Fraktionen. 

Zu Wochenbeginn hatte Wagenknecht bekanntgegeben, was seit einiger Zeit erwartet worden war. Zusammen mit neun Getreuen ist die streitbare Sozialistin aus der Linken ausgetreten, darunter auch die bisherige Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. „Wir haben uns zur Gründung einer neuen Partei entschieden, weil wir überzeugt sind: So, wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen“, erklärte Wagenknecht. „Die Partei habe trotz immer neuer Wahlniederlagen ihren Kurs nicht korrigiert und sei auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit.“ SPD-Chef Lars Klingbeil zeigte sich bereit für die Aufnahme von Linken-Mitgliedern. „Unsere Türen stehen offen.“ 

Die Linken-Fraktion wird nicht bestehen bleiben können 

In der Fraktion wollen die Abtrünnigen aber bleiben. Mit Rücksicht auf die rund 100 Beschäftigten und einen „geordneten Übergang“ bis zur geplanten Parteigründung im Januar, organisiert vom Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW)“, versicherte Wagenknecht treuherzig am Montag in der vollbesetzten Bundespressekonferenz.

Damit spielte sie den Ball zurück an ihren einstigen Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der ihr einen „laxen Umgang“ mit dem Schicksal der Mitarbeiter vorgeworfen hatte. Jetzt bleibt der Rest-Fraktion nichts anderes übrig, als Wagenknechts vergiftetes „Angebot“ anzunehmen, will sie nicht als unsozial dastehen. Vermutlich am 7. November werden die 28 Abgeordneten für Wagenknechts Verbleib in der Fraktion stimmen, der verhaßten Spalterin der Linken. Eine Zumutung. „Das Interesse der Beschäftigten dieser Fraktion ist uns eine Herzensangelegenheit“, drehte Co-Parteichef Martin Schirdewan bei. Spätestens ab Januar werde die Fraktion aber nicht mehr bestehen können, stellte Wagenknecht klar, denn Abgeordnete dürfen nicht zwei Parteien angehören. Nur wenn Wagenknecht und ihre Mitstreiter ihr Bundestagsmandat niederlegen und Nachrückern Platz machen würden, blieben die Fraktion und damit alle Arbeitsplätze erhalten. Das lehnen die Ex-Linken jedoch ab. Wagenknecht beansprucht ein „moralisches Recht“, ihr Mandat zu behalten. 

So muß sich ein Teil der Mitarbeiter neue Jobs suchen, denn der Fraktionsstatus endet, wenn nur zwei von den derzeit 38 Abgeordneten austreten oder ausgeschlossen werden. Die Linke kann dann nur noch als Gruppe weitermachen. Mit weniger Rechten und eben auch dem Verlust bedeutender Mittel der Bundestagsverwaltung, insbesondere für die Anstellung von Mitarbeitern.

Und es stellt sich die Frage, ob die Linke auch ihre protokollarisch ranghöchste Repräsentantin auf Bundesebene verliert, die langjährige Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Die studierte DDR-Freundschaftspionierleiterin verdankt ihr Amt der Geschäftsordnung des Bundestages, der zufolge jeder Fraktion ein solcher Posten zusteht. In der Theorie, denn die Altparteien verweigern der AfD seit deren Einzug in das Parlament 2017 die Besetzung dieses Amtes. Müßte Pau zurücktreten?

Eine Abwahl sieht die Geschäftsordnung nicht vor. Bliebe sie im Amt, entstünde die absurde Situation, daß eine Gruppe, nämlich Die Linke, einen Vizepräsidenten stellt, eine Fraktion, nämlich die AfD, hingegen keinen. AfD-Parlamentsgeschäftsführer Stephan Brandner macht sich keine Illusionen. „Es wird so kommen, daß die Linke ihre Vizepräsidentin und andere aus der Fraktionseigenschaft abgeleitete Privilegien – wie etwa Auschußvorsitze, Mitgliedschaft im Parlamentarischen Kontrollgremium oder dem Ältestenrat – auch dann behalten wird, wenn es diese Fraktion nicht mehr gibt“, betonte er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die Linken, auch die um Wagenknecht, seien fester Bestandteil des deutschen Altparteienkartells. „Die seitens der anderen Fraktionen geplante große Geschäftsordnungsreform wird sicher dafür genutzt, für die Linke Neuregelungen und Privilegien zu schaffen, die ihr nicht mehr zustehen“.

Der Millionär Ralph Suikat ist für die Finanzen des Vereins zuständig 

Doch Wagenknecht hat derzeit andere Probleme, etwa den Aufbau der Partei und das Einwerben von Spenden. Letzteres fällt dem Karlsruher IT-Unternehmer Ralph Suikat zu, Schatzmeister des BSW. Der 58jährige weiß mit Geld umzugehen. Nach seinem Studium gründete er mit einem Freund eine Software-Firma, deren Anteile er 2016 verkaufte und damit zum Millionär wurde. Heute betätigt er sich als Mentor von Start-ups, gehört dem Netzwerk „Millionaires for Humanity“ an und plädiert für eine stärkere Besteuerung hoher Vermögen. Spenden seien ein „ganz zentraler Erfolgsfaktor“ für die politische Arbeit, betonte er auf der gemeinsamen Pressekonferenz. Überhaupt fiel auf, wie häufig – auch von Wagenknecht selbst – die Dringlichkeit von Spenden angesprochen wurde.

Von einer auskömmlichen Finanzierung dürfte die Teilnahme an den kommenden Wahlen abhängen. Sicher scheint nur die Kandidatur für das Europäische Parlament im Juni. Denn die Voraussetzungen dafür sind günstiger als bei Bundestags- sowie Landtagswahlen. Eine Sperrklausel existiert (noch) nicht, eine Bundesliste läßt sich organisatorisch leichter aufstellen als 16 Landeslisten. Dementsprechend vage fielen die Aussagen zu den 2024 anstehenden Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen aus. „Wir streben an, in den drei Bundesländern zu kandidieren, aber ob wir es wirklich in allen dreien schaffen, wird natürlich davon abhängen, wie sind die Landesverbände bis dahin aufgestellt, welche Kandidaten haben wir vor Ort“, sagte die Parteigründerin. Christian Leye, BSW-Vizechef, ergänzte, man wolle keine Glücksritter oder irgendwelche Verrückten in den eigenen Reihen dulden. 

Zur Überraschung der Journalisten nutzte die Parteigründerin die Pressekonferenz für eine eindringliche Standpauke. Eines ihrer „großen Anliegen“ sei es, den Meinungskorridor wieder zu erweitern. „Es ist Ihr legitimes Recht, uns nicht zu mögen (…) aber setzen Sie sich bitte sachlich mit uns auseinander“, appellierte sie an die Medienvertreter und sprach in Zusammenhang mit dem Überfall Rußlands auf die Ukraine und der Corona-Politik von einer „dominanten Meinungsblase“.

Inhaltlich begründete Wagenknecht ihr neues Projekt mit der Politik „der schlechtesten Regierung der bundesdeutschen Geschichte“. So wie es derzeit laufe, dürfe es nicht weitergehen. „Denn sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“ Mit der AfD wolle sie „keine gemeinsame Sache machen“, beklagte aber ebenso die „ungeregelte Zuwanderung“, die „die Probleme an den Schulen, vor allem in den ärmeren Wohngebieten“ verschärfe. Zudem will die sich als linkskonservativ verstehende 54jährige „wegkommen von einem blinden, planlosen Öko-Aktivismus, der das Leben der Menschen zusätzlich verteuert, aber tatsächlich dem Klima überhaupt nicht nützt“. 






Bündnis Sahra Wagenknecht

Der Verein „Bündnis Sahra Wageknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ will eine neue Parteigründung vorbereiten. Vorsitzende ist die ehemalige Linken-Fraktionschefin im Bundestag, Amira Mohamed Ali (43), ihr Stellvertreter der Abgeordnete Christian Leye (42). Den Geschäftsführerposten des Vereins bekleidet Lukas Schön (39), der zuvor in gleicher Funktion bei den Linken in Nordrhein-Westfalen tätig war, Schatzmeister ist der Unternehmer Ralph Suikat (58). Im Gründungsmanifest des Vereins heißt es, in Deutschland werde seit Jahren „an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert“. Die Wagenknecht-Partei soll Anfang kommenden Jahres gegründet werden und zur Europawahl im Juni antreten. (JF)

 https://buendnis-sahra-wagenknecht.de

 www.sahra-wagenknecht.de