© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/23 / 27. Oktober 2023

Gute Nacht, Republik
Die Staatswirtschaft unterdrückt den Erfindergeist und das Unternehmertum
Paul Rosen

Für Helmut Kohl begann der Sozialismus bei einer Staatsquote von 50 Prozent. Da sind wir heute in Deutschland angekommen. 1990 waren es 43,6 Prozent. Das bedeutet: Jeder zweite hierzulande verdiente Euro wandert in die Staats- und Sozialkassen und wird dann von Politikern unter das Volk oder sonstwohin gebracht. Damit ist auch das Problem beschrieben: Die 2022 eingezogenen 895,7 Milliarden Euro Steuern fielen an Leute, die mit Geld nachweislich nicht umgehen können. Ähnlich verhält es sich mit rund 480 Milliarden Euro an Beitragsgeldern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern für die Sozialversicherung.

Steigende Steuern – wie kürzlich die Lkw-Maut – und regelmäßig kletternde Sozialbeiträge führen die Bundesrepublik weiter in Richtung einer zentralistisch gelenkten Staatswirtschaft. Im Energiebereich regiert Berlin bereits durch. Die von den Grünen erzwungene Transformation ruiniert Unternehmen, funktionierende Anlagen werden abgeschaltet. Stattdessen kauft man Energie teuer im Ausland ein und subventioniert inländischen Flatterstrom. Durch die weltweit höchsten Energiepreise in einem Industrieland schmilzt der industrielle Kern dahin. Arbeitsplätze gehen in Serie verloren, und die verbleibenden Arbeitnehmer und Unternehmer müssen die steigenden Sozialkosten schultern.

Geniale Erfindungen gibt es in Deutschland nicht mehr in der Technik, aber noch im Steuerbereich. Der größte Geniestreich (Politiker glauben das jedenfalls) war die Einführung der Besteuerung von Luft, auch als CO2-Abgabe bekannt. Hier können staatliche Einnahmeverbesserer in allen Bereichen zugreifen: Vom Verkehr bis zur Wohnungsheizung reicht die Palette, und mit dem Hinweis auf eine drohende Klimakatastrophe werden die Sätze permanent angehoben. Daß dieser steuerliche Irrsinn Unternehmen und Arbeitsplätze gefährdet, interessiert Politiker nicht.

Zugleich hat Deutschland nach Belgien in der OECD die höchsten Steuern für Arbeitnehmer. Bei einem Alleinstehenden sind 47,8 Prozent des Gehalts für Steuern und Sozialabgaben fällig, die Beiträge des Arbeitgebers sind hierin nicht enthalten. Für die immer weiter steigenden Sozialbeiträge gibt es schlechtere Versorgung in Krankenhäusern, lange Wartezeiten bei Ärzten, zu wenig Medikamente und ein Rentenniveau, das gepaart mit einem im europäischen Vergleich hohen Renteneintrittsalter nur noch als skandalös niedrig bezeichnet werden kann.

Daß das nicht so weitergehen kann, dürfte allen klar sein, die noch einen Taschenrechner bedienen können. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag, also das, was Arbeitgeber und Arbeitnehmer abdrücken müssen, betrug 1970 noch 26,5 Prozent der Bruttogehälter. Damals war Willy Brandt Kanzler, und die Lohntüten waren gut gefüllt. In der Industrie entstanden neue Arbeitsplätze. In München werkelten Ingenieure an der Magnetschwebebahn als zukunftsträchtigem Verkehrsmittel, und schon drei Jahre lang lieferte das bis dato größte Atomkraftwerk Gundremmingen verläßlich Energie.

Heute befinden sich Magnetschwebebahn und Atomkraftwerke auf dem immer größer werdenden Technik-Müllhaufen der Bundesrepublik, Maschinenbau und Automobilindustrie sind auf dem Weg dorthin. Wer noch wirtschaftet und arbeitet, muß immer höhere Belastungen stemmen. So liegt dieser Gesamtsozialversicherungsbeitrag derzeit bei 40,8 Prozent. Die Unternehmen versuchen händeringend, Kosten zu senken, indem sie Personal abbauen oder die Produktion ins Ausland verlagern – mit der Folge, daß die Verbleibenden noch mehr zahlen müssen.

Kommen Krisen wie durch Corona und Ukrainekrieg, versucht die Regierung zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten ist. Per „Doppel-Wumms“ wird Geld in Unternehmen gepumpt, und den Bürgern werden Energiekosten-Zuschüsse gezahlt, die sie vorher durch ihre überhöhten Steuern selbst finanziert haben. Die Inflation frißt derweil Lohnerhöhungen und Ersparnisse. Von der Bundesregierung, die noch vor einem Vierteljahrhundert versprach, der Euro werde so stabil sein wie die D-Mark, sind zum Thema Inflation und Gelddrucken der Zentralbank allenfalls kleinlaute Bemerkungen zu vernehmen.

Für die Bürger hat die zunehmende Staatswirtschaft bei gleichzeitigem Politikversagen ernste Konsequenzen. Nicht für die kleine Oberschicht, die mit inflationssicherem Immobilienvermögen immer reicher wird. Der Mittelstand aber, das Handwerk und der Einzelhandel befinden sich in einer tödlichen Abwärtsspirale. Die Pleitewelle rollt, neue Betriebe werden kaum noch eröffnet.

Was in Deutschland noch blüht, wächst und gedeiht, ist die Sozialindustrie. Während es dem Wirtschaftsminister Robert Habeck egal ist, wenn wieder eine Bäckerei pleite geht, wird andererseits ein gewisser Teil der Bevölkerung gut versorgt. Rentnern wird ein Inflationsausgleich verweigert, aber das Bürgergeld wird im kommenden Jahr um zwölf Prozent erhöht. Mit der ebenfalls bereits beschlossenen Kindergrundsicherung werden wieder neue Sozialleistungen fließen. Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Wer krank oder hilflos ist und nicht arbeiten kann, muß Unterstützung bekommen.

Aber es kann nicht angehen, daß von den 5,2 Millionen Bürgergeld-Empfängern 3,9 Millionen Menschen arbeitsfähig sind und es offenbar nicht einsehen, irgendeiner Tätigkeit nachzugehen, während Gastwirte keine Küchenhilfen finden, vom Arbeitskräftemangel in Handwerk, Dienstleistungen, ÖPNV und Industrie ganz zu schweigen. Das Bürgergeld war ein gefährlicher Irrweg, von dem nur eine Arbeitspflicht wieder wegführen wird. Sie dürfte auch den starken Einwanderungsreiz in das deutsche Sozialsystem dämpfen.

Wer heutzutage noch arbeitet, muß sich dämlich vorkommen. Leistung lohnt sich nicht mehr. Zusätzlich verdientes Geld wird überwiegend wegbesteuert, Erspartes wird entwertet, Rente war gestern. Und schon auf dem Weg zur Arbeit ist täglich zu erleben, wie die Infrastruktur zerbröselt.

Dieses Land braucht mehr als den Ruck, den einst Roman Herzog forderte und mehr als die Sozialreformen eines Gerhard Schröder. Es braucht einen kompletten Neustart.