Glaubt mir, ihr Farbenfrohen, in Kulturen, in denen jeder Trottel Individualität besitzt, vertrotteln die Individualitäten“, heißt es bereits beim Literaturkritiker Karl Kraus. Einen ganz ähnlichen Befund stellen nun Henryk M. Broder und Reinhard Mohr in ihrer jüngst erschienenen Essaysammlung über das von der Ampelregierung zu einem bloßen „Germanistan“ heruntergewirtschaftete Deutschland aus. Denn, so die Autoren, „eine Prise reaktionäres Bildungslamento muß auch mal sein“.
Sowohl bei Broder als auch bei Mohr (Jahrgang 1946 beziehungsweise 1955) handelt es sich um 68er oder zumindest Post-68er, die an Parolen wie „USA– SA–SS“ ihre Freude hatten und sich für
Ideen wie „Mehr Bildung für alle“ oder die Befreiung vom tausendjährigen abendländischen „Muff unter den Talaren“ einsetzten. Beide schrieben für den Spiegel, Mohr publizierte gar zusammen mit dem roten (nachmals grünen) Dany Cohn-Bendit. Beide sind jedoch mit den Jahren vom sich antiautoritär gebenden Linksautoritarismus der 68er abgekommen und haben sich folgerichtig von der politischen Linken abgewandt. Beide sind, um einen Buchtitel Mohrs heranzuziehen, von Linken zu „Altlinken“ geworden, können mithin nicht mehr das geringste anfangen mit den woken Niederungen, in die sich die europäische Linke im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verirrt hat. Und dieser Umstand macht ihre Ansichten interessant für die politische Rechte.
Die Themen dieses Sammelbands reichen von der Bildungskatastrophe über die weltdümmste Energie- und Migrationspolitik bis hin zur Entmannung der Bundeswehr und einem in der Ampelrepublik nun auch staatlich sanktionierten Gender-Gaga. Und doch sind die hier versammelten Essays allesamt unterhaltsam und scharfzüngig vorgetragen; sie bereiten bei all der Dummheit und Niedertracht, von der sie handeln, ein tiefes Amüsement. Insonderheit Broder steht in der von Heinrich Heine begründeten deutschjüdischen Tradition der polemischen Kritik, die noch zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts von Autoren wie Maximilian Harden (eigentlich Felix Witkowski), Alfred Kerr und dem vorerwähnten Karl Kraus gepflegt wurde.
In der bis vor kurzem harmonie- und konsenssüchtigen Bundesrepublik hatten derartige Juden allerdings kaum Konjunktur. Die träge Verwalter-attitüde der meisten Zentralratspräsidenten ist dem homo bundesrepublicanis weit lieber; und wenn es hierzulande von jüdischer Seite doch mal aggressiv zuging, dann zumeist nicht gegen die Regierung, sondern gegen die Opposition. Dafür zur Verfügung stehen denn auch jederzeit staatlich finanzierte (und fast durchweg „israelkritische“) Hofjuden, die es einem jeden neutralen Beobachter mittels Nazi-Vergleichen untersagen wollen, „jüdische Führungspersonen abzuwerten“ (so Meron Mendel, Leiter der Anne-Frank-Bildungsstätte, unlängst an die Adresse von JF-Autor Thorsten Hinz). Hinzu gesellt sich inzwischen eine ganze Phalanx an Antisemitismusbeauftragten, die, so unsere beiden Autoren, „wie blinde Hühner durch den Phrasengarten laufen“.
Unter diesen Bedingungen trifft es früher oder später einen jeden, der es als Aufgabe der Vierten Gewalt begreift, vor allem der Regierung statt der Opposition auf die Finger zu schauen. Es konnte daher nicht fehlen, daß auch Broder – obwohl er alles andere als rechts ist – zu jenen dazustieß, die „mit medialer Unterstützung als ‘rechtspopulistisch’ abgestempelt“ wurden. Die Achse des Guten, der vielgelesene, von Broder zusammen mit Dirk Max-einer und Fabian Nicolay geführte Autorenblog, erlebte gar eine beispiellose koordinierte Boykottkampagne, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, ihm wegen politischer Unbotmäßigkeit die Werbeeinnahmen zu entziehen.
Und doch bleiben Broder und Mohr in ihren Essays der humorvollen Polemik treu. In einem Land, das Jan Böhmermann, den „ZDF-Reichsverweser der neuen deutschen Lachkultur, Blockwart der ‘Netzgemeinde’ und führenden Abschnittsbevollmächtigten der einzig erlaubten Denkungsart“, für einen begnadeten Komiker hält, ist das um so verdienstvoller. Denn gerade in einem solchen Land bedarf es derer, die daran erinnern, daß all dieser „Irrsinn von Staats wegen (…) nur mit Humor zu ertragen“ ist.
Henryk M. Broder / Reinhard Mohr: Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik. Europa Verlag, München 2023, broschiert, 242 Seiten, 20 Euro