© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/23 / 20. Oktober 2023

Frisch gepreßt

Ukraine. Zu den wenigen, die den russischen Angriff vorausgesehen haben, gehört Anna Veronika Wendland. Wer jetzt stutzt – ja, jene Technikhistorikerin und Autorin des Buchs „Atomkraft? Ja bitte! Wie Kernkraft uns jetzt retten kann“ (JF 36/22), der die Zeit vorwirft, die Debatte um den Wiedereinstieg immer wieder anzufachen. Ursprünglich jedoch studierte Wendland Osteuropageschichte (was sie zum Thema Tschernobyl und von dort zur Technikgeschichte führte). Daß sie anders als die meisten Experten Putins Pläne richtig einschätzte, lenkt nun natürlich besondere Aufmerksamkeit auf ihr neues Buch. Der Titel „Befreiungskrieg“ verrät bereits den interessanten Ansatz, den Wendland hierfür wählt und mit dem sie geschickt Geschichte und Gegenwart zu verbinden weiß: Laut ihrer These vollzog sich das geschichtliche Werden des Landes als Emanzipation von Rußland, die sich vor allem als ein Befreiungskrieg versteht. Womit der Kampf seit der Invasion im Februar 2022 zu einem weiteren Kapitel dieses immer noch nicht abgeschlossenen historischen Prozesses wird. Daß die Autorin folglich Deutungsansätze wie etwa den des Stellvertreterkriegs ablehnt und für die immer noch werdende Nation Partei nimmt, liegt in der Natur der Sache ihrer historischen Reflexion. (mo)

Anna Veronika Wendland: Befreiungskrieg. Nationsbildung und Gewalt in der Ukraine. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2023, broschiert, 253 Seiten, 26 Euro





Rechtes Amerika. Im Januar 1970 unterschrieb US-Präsident Richard Nixon den National Environmental Policy Act und institutionalisierte damit die moderne Umweltpolitik in den USA. Seitdem haben demokratisch wie republikanisch geführte Regierungen umfangreiche Maßnahmen zum Schutz der Natur ins Werk gesetzt. Gleichzeitig entstand in den letzten Jahrzehnten jedoch eine breite anti-ökologische Bewegung, deren fast ausschließlich von Wählern und Anhängern der Republikaner getragener, in Zeiten des „Klimakrise“ sich verhärtender, zum Kulturkampf auswachsender Widerstand des „rechten Amerika“ sich gegen diese „linke“ Umweltpolitik richtet. Dies ist Gegenstand der von Ulrich Herbert betreuten Freiburger Doktorarbeit von Ella Müller. Sie zeichnet die historische Genese dieses Phänomens als die „Geschichte einer Radikalisierung“ nach. Der Kampf des „Anti-Environmentalism“ gegen den Umweltschutz, so Müllers These, konnte nur zum „Kernbestandteil einer reaktionären politischen Identität“ werden, weil sich damit am besten „die Wut abgehängter Teile des weißen Amerika außerhalb der Städte“ mobilisieren ließ. In Wirklichkeit gehe es in diesem Streit nicht um Ökologie, sondern um das Schicksal der Demokratie, die für das rechte Amerika zur Disposition stehe, wenn sie nicht mehr „weiß und christlich“ sei. (dg)

Ella Müller: Die amerikanische Rechte und der Umweltschutz. Geschichte einer Radikalisierung. Hamburger Edition, Hamburg 2023, gebunden, 364 Seiten, 40 Euro