Imperialismus. Vor gut einer Generation fristete das Thema Imperialismus ein Schattendasein, war allenfalls in Interaktion zu der politischen Geschichte ihrer Hauptmächte im 20. Jahrhunderts von Interesse. Ob heute diese Epoche deshalb wieder Konjunktur hat, weil Empires „in unsere Welt zurückgekehrt“ seien, wie Rußlands Krieg in der Ukraine und Chinas Muskelspiele in Taiwan offenbarten, sei dahingestellt. Die Historiker Ulrike von Hirschhausen (Rostock) und Jörn Leonhard (Freiburg) stellen das jedenfalls ihrer umfassenden Arbeit voran, obwohl die Renaissance in der Forschung nicht zuletzt auch mit der moralfixierten Critical Whiteness und anderen kulturellen Deutungsmustern des „globalen Südens“ in der Aufarbeitung kolonialer Sünden eben dieser Imperialmächte des alten Kontinents auffällig einhergeht. Diesen Fokus auf den heute mit Schuldkomplexen beladenen rassistischen Gegensatz zwischen dem europäischen homo oeconomicus und den lazy natives der Kolonien haben die Autoren, die ihr Themenfeld seit mehr als einem Jahrzehnt beackern, erfreulicherweise nicht. Gut gegliedert nähern sie sich dem facettenreichen Phänomen von Eroberung und Herrschaft oder dem Properieren und Profitieren, das keineswegs nur einseitig war, beginnend mit dem russischen Siedlerkolonialismus in den eroberten Schwarzmeerregionen 1780 bis zur Rekrutierung der Kolonialheere für die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs. (bä)
Ulrike von Hirschhausen / Jörg Leonhard: Empires. Eine globale Geschichte 1780–1920. C. H. Beck, München 2023, gebunden, 735 Seiten, Abbildungen, 49 Euro
Deutsche Revolutionen. Als einer der prominentesten bundesdeutschen Historiker fühlt sich der 1938 in Königsberg geborene Heinrich August Winkler noch zu jung für den „Ruhestand“. Er genießt daher das Privileg, an der HU Berlin über einen „technisch wohl ausgestatteten Raum“ und eine „administrative Betreuerin“ seiner Altersprojekte zu verfügen. Bei seinem jüngsten Erzeugnis, einer Kurzgeschichte der Revolutionen von 1848/49, 1870/71, 1918/19, 1933 und 1989 recherchierten zudem diverse Hilfskräfte und brachten das Manuskript in die druckfertige Fassung. Im C.H. Beck-Verlag verbesserte der Cheflektor höchstselbst den Text und ließ Korrektur lesen. Finanziert wurde das Ganze dann vom Bankhaus Metzler, dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband sowie drei Stiftungen. Winklers Anteil beschränkte sich darauf, aus seinen Wälzern zum „langen deutschen Weg nach Westen“ einschlägige Revolutionskapitel auszuwählen und für das Büchlein neu zu arrangieren. Ein Fünftel der Fußnoten sind daher Selbstzitate. Fazit: Alter schützt vor Torheit nicht. (ob)
Heinrich August Winkler: Die Deutschen und die Revolution. Eine Geschichte von 1848 bis 1989, C. H. Beck, München 2023, gebunden, 176 Seiten, Abbildungen, 24 Euro
Renaissance. Einen interessanten Ansatz, die Lebenswelt an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit zu schildern, hat der Heidelberger Mediävist Romedio Schmitz-Esser unternommen. Gespiegelt an der Vita des Nürnberger Malers und Gelehrten Albrecht Dürer (1471–1528) und dessen vielfältigem Nachlaß in Schrift und Bild wird der Leser in diese von Buchdruck, Welterschließung und Reformation geprägte Epoche entführt. Dabei hangelt sich Schmitz-Esser in ebenso erfreulicher wie gewagter Fußnotenabstinenz an 50 Aspekten entlang, die interessante Einblicke in die Sozialgeschichte (Ehe, Essen, Feste), Geistesgeschichte (Universität, Humanismus, Frömmigkeit) und politische Geschichte (Stadt und Reich, Habsburg oder Kriegsführung) bieten. Manchmal reichen dem Autor dazu Kleinigkeiten wie zum Beispiel die graphische Miniatur des „Kalikuters“, den Dürer in das Gebetbuch Kaiser Maximilians zeichnete, um daran festzumachen, daß die Erschließung „beider Indien“ sich bereits in dieser eklektizistischen Figur darstellt, die sowohl auf Vasco da Gamas Schilderungen seiner Indienexpedition als auch auf den Kopfschmuck von Indigenen aus Südamerika zurückgreift. (bä)
Romedio Schmitz-Esser: Um 1500. Europa zur Zeit Albrecht Dürers. wbg Theiss Verlag, Darmstadt 2023, gebunden, 520 Seiten, Abbildungen, 44 Euro