Christian Bruch, der als Sanierer für Siemens Energy und die Tochterfirma Gamesa engagierte Manager hat nur noch wenige Wochen Zeit, Märkte und Kunden von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Am 15. November werden den Analysten die Quartalszahlen vorgestellt, sechs Tage später muß auf dem Kapitalmarkttag 2023 den Aktionären eine überzeugende Vision präsentiert werden. Nachdem Siemens Gamesa der Muttergesellschaft im zweiten Quartal einen Verlust von drei Milliarden Euro bescherte (JF 38/23), glauben viele nicht, daß die kommunizierte Obergrenze von 4,5 Milliarden Euro Gesamtverlust für Siemens Energy – trotz stabiler Geschäfte kleinerer Sparten – gehalten werden kann.
Die Entscheidungen der vergangenen Wochen haben gezeigt, daß der frühere RWE- und Linde-Manager Bruch bei seinen Planungen eine Risikostrategie fahren wird. Diese dürfte in einer einseitigen Fokussierung auf die Windkraftsparte bestehen und zugleich bedeuten, daß der ursprüngliche Ansatz, Siemens Energy als einen Komplettanbieter im Energiebereich aufzustellen, abgeräumt wird. Die Reaktionen des Marktes auf diese Strategie und auf die Verkaufserlöse für Siemens-Energy-Unternehmensteile dürften gemischt ausfallen.
Derzeit klagen alle europäischen Windkraftanlagenhersteller über schlechte Margen und rechnen mit schlechten Ergebnissen. Doch bei Siemens Gamesa – 2017 entstanden aus der Fusion von Siemens Wind Power und dem baskisch-spanischen Wettbewerber Gamesa – wird die Misere intensiviert durch Qualitätsprobleme, Garantiefälle und einen De-facto-Vertriebsstop (JF 38/23).
Sorge um Stellenabbau nach Übernahme durch Finanzinvestor
Die Subventionierung des Windstrompreises sinkt, und damit verringert sich die Investitionsbereitschaft der Windparkprojektierer. Hinzu kommt die wachsende Konkurrenz der Windradbauer aus China, die niedrigere Preise und langfristige Zahlungsziele bieten. So geraten europäische Hersteller auch auf ihrem heimatlichen Kernmarkt zunehmend ins Hintertreffen. Die EU-Kommission, seit 2019 auf radikal-grünem Klimakurs, arbeitet an protektionistischen Abwehrmaßnahmen gegen die chinesische Windkraft-Konkurrenz, was Siemens Energy insgesamt allerdings nur bedingt nutzt. Absehbare Gegenreaktionen Pekings würden den auch in Asien vertretenen anderen Bereichen von Siemens Energy durchaus schaden. Allerdings könnte eine Eskalation Bruch die Argumentation zu seiner Risikostrategie vereinfachen, denn die bisherigen und die angekündigten Verkäufe aus dem Siemens-Portfolio betreffen Tochterfirmen, die von einem Handelskrieg zwischen EU und China im Energiebereich betroffen wären.
Ein Beispiel dafür ist die Siemens-Hochspannungskomponenten-Sparte Trench Electric, die Meß- und Regeltechnik für den Netzbetrieb und Umspannwerke fertigt und verkauft. Der Trench-Erfolg bestand vor allem darin, die insgesamt neun Werke mit 2.500 Beschäftigten auf einem Markt mit sehr geringen Margen dadurch auszulasten, daß auch Projektkunden gewonnen worden sind, die nicht ausschließlich Siemens-Technik verwenden. Eine solche Kundenstruktur in Asien ist anfälliger für die Folgen wirtschaftspolitischer Auseinandersetzungen, weshalb der Siemens-Energy-Vorstand den Aufsichtsrat über den Abschluß der Verkaufsverhandlungen mit dem Londoner Finanzinvestor Triton informierte.
Allerdings steht der Verkauf noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Arbeitnehmervertreter, die Triton mit Blick auf Arbeitsplatzgarantien wohl skeptisch sehen. Deren kritische Haltung dürfte noch verstärkt werden durch den massiven Stellenabbau beim ehemaligen Joint Venture Valeo Siemens eAutomotive. Nach dem 2022 erfolgten Verkauf an den französischen Autozulieferer Valeo müssen nun vor allem Ex-Siemens-Mitarbeiter gehen. Es steht zudem bereits der dritte Spartenverkauf in der Ägide von Christian Bruch fest: 2024 soll auch die Nürnberger Großmotoren-Sparte Innomotics veräußert werden. Die Antriebssysteme werden unter anderem im Bergbau und in der Öl- und Gasförderung eingesetzt.
Bruch will die Milliarden-Verluste bei Siemens Energy durch kurzfristige Liquiditätszuflüsse aus Teilverkäufen und nicht durch stabil-langfristige, aber eher geringe Gewinne kompensieren. Dieser Know-how-Ausverkauf setzt darauf, daß die „grüne“, aber problematische Windenergiesparte bei Siemens Gamesa tatsächlich saniert werden kann. Gelingt dies nicht, ist nicht nur Bruch als Manager gescheitert, sondern die bei der Siemens-Zerschlagung von Joe Kaeser verkündete Strategie, in den getrennten Tochterfirmen jeweils die gesamte Breite des jeweiligen Markts abdecken zu können.