© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/23 / 20. Oktober 2023

Mehr Leistungsgesellschaft wagen
Wahlkampf in Argentinien: Die Unzufriedenheit im Land wächst / Ein radikaler Umschwung ist denkbar
Wolfgang Bendel

Showdown in Buenos Aires. Am 22. Oktober wird in Argentinien ein neuer Präsident gewählt, wobei diesmal alles anders werden könnte. Zum ersten Mal überhaupt hat ein Kandidat gute Chancen, der nicht aus einer der beiden großen Parteiblöcke kommt, den Rechtsliberalen um die Radikale Bürgerunion beziehungsweise den linkspopulistischen Peronisten. Die Rede ist von Javier Milei, der bei den vorangegangenen Vorwahlen überraschend die meisten Stimmen erhielt und die beiden Kandidaten der Traditionsparteien hinter sich ließ. Bei diesen Vorwahlen findet eine Vorentscheidung darüber statt, welche Kandidaten an der eigentlichen Wahl teilnehmen können.

Milei, der sich selbst als libertär bezeichnet und der Parteienkoalition La libertad avanza (die Freiheit schreitet voran) vorsteht, trat mit einigen radikalen Parolen an die Öffentlichkeit, die angesichts der anhaltenden und sich immer weiter verschärfenden wirtschaftlichen Krise, in der sich das Land befindet, auf überraschend große Zustimmung stießen: Er versicherte, „in 15 Jahren ein Argentinien mit einem Lebensstandard wie in Italien oder Frankreich“ zu schaffen.

Zentrale Forderungen von Milei sind unter anderem die Einführung einer „Meritokratie“, die „Verteidigung des Rechts auf Leben von der Empfängnis an“, Recht auf Waffenbesitz und die Ehrlichkeit bei der Verwaltung der öffentlichen Mittel. Zudem möchte er die argentinische Zentralbank abschaffen und mehr freien Marktwettbewerb fördern. Milei vereint sowohl libertäre als auch konservative Forderungen.

Die Etablierten versuchen es mit Wahlgeschenken

Keine Überraschung also, daß er von den nationalen und internationalen Medien sofort des „Rechtsextremismus“ bezichtigt wurde. Angesichts der Tatsache, daß in dem einstmals sehr reichen Land inzwischen offiziellen Statistiken zufolge 40 Prozent der Bevölkerung in Armut leben, scheint dieser Vorwurf immer mehr Wähler nicht zu stören. Im Gegenteil. In den letzten Meinungsumfragen legte er sogar zu und liegt nun mit durchschnittlich 35 Prozent der Stimmen deutlich vor dem Kandidaten der regierenden Peronisten Sergio Massa mit 27 Prozent und der bürgerlichen Kandidatin Patricia Bullrich mit 25 Prozent. Zwei weitere Kandidaten kommen zusammen auf sieben Prozent.

Die beiden Vertreter der Altparteien versuchen neben der Stigmatisierung Mileis, die Bevölkerung mit weiteren Geldgeschenken an sich zu binden. Die Einkommensteuer wurde bis vorerst Ende des Jahres weitgehend ausgesetzt und die Löhne für öffentlich Bedienstete enorm erhöht. Wie der längst bankrotte Staat diese zusätzlichen Ausgaben finanzieren will, bleibt freilich unbeantwortet.

Der amtierende Präsident Alberto Fernández hatte auf eine erneute Kandidatur verzichtet, da er sich keinerlei Siegeschancen ausrechnete. Pikant ist auch, daß der Regierungskandidat Massa gegenwärtig Wirtschaftsminister und damit mitverantwortlich für das wirtschaftliche Chaos ist, in dem sich das Land befindet. Zuletzt stieg die Inflationsrate auf unglaubliche 133 Prozent.

Gleichzeitig werden auch Teilwahlen zum Abgeordnetenhaus und zum Senat abgehalten. Falls kein Kandidat mehr als 45 Prozent der Stimmen erhält oder mindestens zehn Prozentpunkte vor dem Zweitplazierten liegt, wäre ein zweiter Wahlgang nötig. Das würde am 19. November passieren.